Ein Weg zum künstlerischen Leben
Die Kraft der Liebe in der Welt kann das Zünglein auf der Waage sein gegen die Angst und die Furcht – aber nur dann, wenn sie auch in die Welt hineinfließen darf; und das hängt von der Steigerung der Sinnes- und Lebensprozesse zu Handlungen der Seele ab. Es gilt nämlich, die zwölf Sinne und die sieben Lebensprozesse so zu gestalten, dass unsere ganze Liebe durch sie hindurch leuchten kann.
Jede echte Kunst erhebt die Sinne auf die Ebene der Seele und des Geistes. Die verschiedenen Künste sind zwar nicht ausschließlich dem einen oder dem anderen Sinn bzw. Lebensprozess zuzuordnen; und doch richtet jede Kunst den Fokus darauf, einen spezifischen Sinn zu erheben. Dabei schließen sich die übrigen Sinne zusammen, um diesen spezifischen Sinn zu unterstützen und ziehen die Lebensprozesse in den Vorgang mit hinein.[1] Wir werden hier untersuchen, wie durch die einzelnen Künste die Sinne veredelt werden. Dann werden wir ähnliche schöpferische Handlungen im eigenen Leben aufsuchen, indem wir uns selbst zum Teil eines Ganzen machen.
Tanz und Gleichgewicht
Der Tanz wirkt im Wesentlichen mit unserem Gleichgewichtssinn zusammen. Dieser Sinn verleiht uns zwar die Fähigkeit, aufrecht zu gehen, aber er besitzt ungeahnte Möglichkeiten darüber hinaus. Man stelle sich vor, man würde einer vorzüglichen Tanz-Darbietung beiwohnen. Da bewegen sich die Tänzer frei, noch freier, als wir es je vermöchten. Die Tänzer gebrauchen nicht bloß ihren Gleichgewichtssinn, sondern sie haben lange und hart daran gearbeitet, ihren Gleichgewichtssinn zu veredeln, ihn zur Kunst zu erheben, indem sie ihm eine Form geben – die Form des Tanzes. Wenn der Tänzer es nicht schafft, sich selbst der Gestalt des Tanzes zu übergeben, so ergibt das etwas, was zwar bis hin zur technischen Perfektion wie Tanz aussieht, aber im Künstlerischen wirkt solcher Tanz gestelzt und erzwungen.
Ein Tänzer darf nicht die eigenen Begierden in den Tanz einfließen lassen. Man muss die Begierde zwar nicht unterdrücken, aber man muss sie durchaus in Grenzen halten, damit sie nicht den Tanz befällt. Wenn wir tanzen – also in gewöhnlicher Weise, nicht als Kunstform –, spielen wir mit unserem Gleichgewichtssinn und drücken so unsere eigene Begierde nach Vergnügen aus. Der Tanzkünstler, der die eigenen Begierden in solch persönlicher Weise ausdrücken würde, würde den ganzen Tanz verderben. Die individuelle Begierde des Tänzers drückt dessen eigene Ego-Angelegenheiten aus, nicht den Tanz selbst. Der echte Tänzer liebt nicht so sehr das Tanzen als den Tanz.
Im alltäglichen Leben werden wir uns in der Regel erst dann unseres Gleichgewichts bewusst, wenn wir es – etwa durch Ausrutschen auf Glatteis – verlieren, oder wenn wir auf der Kirmes eine Achterbahnfahrt machen und feststellen, dass uns der Magen im Hals hinaufrutscht. Wenn wir aber die Furcht stark empfinden, so lässt auch sie unseren Magen in unseren Hals steigen. Auch das stört unseren Gleichgewichtssinn, ob wir Achterbahn fahren oder nicht. Sogar dann, wenn die Furcht oder die Angst nicht unmittelbar anwesend ist, kann es vorkommen, dass sie uns in der Seele weiter nachklingt, uns das Denken stört oder den Doppelgänger hereinlässt, und das stört in jedem Fall unser Gleichgewichtsempfinden. Vielleicht bemerken wir das nicht, weil sich der Körper angepasst hat. Aber wir leben dennoch in einem Zustand, der „aus dem Gleichgewicht“ ist. Haben wir aber einigermaßen an den Schwierigkeiten der Furcht bzw. der Angst gearbeitet, sodass sie uns von den unmittelbaren Qualitäten der Welt nicht mehr trennt, so haben wir begonnen, unseren Gleichgewichtssinn auf den Weg zur Verfeinerung zu bringen.
Sehr hilfreich wäre es, morgens beim Aufwachen unsere Aufmerksamkeit kurz auf das Gleichgewicht zu lenken. Während des Schlafes haben unsere Seele und unser Geist den Körper verlassen, und im Lauf der Nacht weilen sie in einer Welt der Raum- und Zeitlosigkeit. Auch das Finden des Gleichgewichts merkt man in der Regel ebensowenig, wie wenn man es verliert. Manchmal fällt es uns wegen eines besonders kräftigen Traums für den Rest des folgenden Tages schwer, uns im Gleichgewicht zu fühlen. Das zeigt, wie wir uns jeden Tag in einen Zustand des Gleichgewichts versetzen müssen. Wenn wir uns „abgehoben“ fühlen, so kann es hilfreich sein, zu spüren, wie die Schwerkraft uns zur Erde hinzieht. Wenn wir uns schwerfällig und träge fühlen, kann es eine Hilfe sein, auf etwas zu meditieren, was Auftrieb hat oder spiritueller Art ist.
Durch das Finden des eigenen Gleichgewichtssinns wird nicht jeder sich dazu berufen fühlen, Tänzer zu werden. Aber es kann durchaus vorkommen, dass man dadurch das Bedürfnis zu tanzen spürt. Anstatt dieses Gefühl einfach zur Kenntnis zu nehmen und es dann loszulassen, können wir es als Chance nutzen, uns der eigenen Körperhaltung unmittelbar bewusst zu werden. Wir können dabei über unsere aufrechte Haltung ins Staunen kommen, und es geht uns dabei auf, wie unsere Bewunderung für diese Haltung uns in Einklang bringt mit dem Himmel über uns und der Erde unter uns. Dieser Einklang kann in einem Gefühl der Übereinstimmung bestehen zwischen uns einerseits und unseren himmelverwandten Idealen bzw. unseren Erdverwandten Begierden andererseits. Ferner kann das eintreten, dass wir uns der Dinge, die uns aus dem Gleichgewicht werfen (das sind Dinge, die mit der Furcht und mit der Angst zu tun haben), bewusster werden, und folglich die äußeren Anzeichen dafür erkennen lernen, wann diese Dinge bei uns im Anzug sind – auch dann, wenn sie auf der Oberfläche mit Furcht oder Angst nichts zu tun zu haben scheinen. Freilich werden diese Eigenschaften des Gleichgewichts ausbleiben, wenn wir nichts unternommen haben, die Angst auszugleichen, und wenn wir in unserer Liebefähigkeit nicht gereift sind.
[1] Michael Howard, ed., Art as Spiritual Activity: Rudolf Steiner’s Contrbution to the Visual Arts. S. 135-154.
In der nächsten Rate wird es um Pantomime und den Bewegungssinn gehen.
Die Kraft der Liebe in der Welt kann das Zünglein auf der Waage sein gegen die Angst und die Furcht – aber nur dann, wenn sie auch in die Welt hineinfließen darf; und das hängt von der Steigerung der Sinnes- und Lebensprozesse zu Handlungen der Seele ab. Es gilt nämlich, die zwölf Sinne und die sieben Lebensprozesse so zu gestalten, dass unsere ganze Liebe durch sie hindurch leuchten kann.
Jede echte Kunst erhebt die Sinne auf die Ebene der Seele und des Geistes. Die verschiedenen Künste sind zwar nicht ausschließlich dem einen oder dem anderen Sinn bzw. Lebensprozess zuzuordnen; und doch richtet jede Kunst den Fokus darauf, einen spezifischen Sinn zu erheben. Dabei schließen sich die übrigen Sinne zusammen, um diesen spezifischen Sinn zu unterstützen und ziehen die Lebensprozesse in den Vorgang mit hinein.[1] Wir werden hier untersuchen, wie durch die einzelnen Künste die Sinne veredelt werden. Dann werden wir ähnliche schöpferische Handlungen im eigenen Leben aufsuchen, indem wir uns selbst zum Teil eines Ganzen machen.
Tanz und Gleichgewicht
Der Tanz wirkt im Wesentlichen mit unserem Gleichgewichtssinn zusammen. Dieser Sinn verleiht uns zwar die Fähigkeit, aufrecht zu gehen, aber er besitzt ungeahnte Möglichkeiten darüber hinaus. Man stelle sich vor, man würde einer vorzüglichen Tanz-Darbietung beiwohnen. Da bewegen sich die Tänzer frei, noch freier, als wir es je vermöchten. Die Tänzer gebrauchen nicht bloß ihren Gleichgewichtssinn, sondern sie haben lange und hart daran gearbeitet, ihren Gleichgewichtssinn zu veredeln, ihn zur Kunst zu erheben, indem sie ihm eine Form geben – die Form des Tanzes. Wenn der Tänzer es nicht schafft, sich selbst der Gestalt des Tanzes zu übergeben, so ergibt das etwas, was zwar bis hin zur technischen Perfektion wie Tanz aussieht, aber im Künstlerischen wirkt solcher Tanz gestelzt und erzwungen.
Ein Tänzer darf nicht die eigenen Begierden in den Tanz einfließen lassen. Man muss die Begierde zwar nicht unterdrücken, aber man muss sie durchaus in Grenzen halten, damit sie nicht den Tanz befällt. Wenn wir tanzen – also in gewöhnlicher Weise, nicht als Kunstform –, spielen wir mit unserem Gleichgewichtssinn und drücken so unsere eigene Begierde nach Vergnügen aus. Der Tanzkünstler, der die eigenen Begierden in solch persönlicher Weise ausdrücken würde, würde den ganzen Tanz verderben. Die individuelle Begierde des Tänzers drückt dessen eigene Ego-Angelegenheiten aus, nicht den Tanz selbst. Der echte Tänzer liebt nicht so sehr das Tanzen als den Tanz.
Im alltäglichen Leben werden wir uns in der Regel erst dann unseres Gleichgewichts bewusst, wenn wir es – etwa durch Ausrutschen auf Glatteis – verlieren, oder wenn wir auf der Kirmes eine Achterbahnfahrt machen und feststellen, dass uns der Magen im Hals hinaufrutscht. Wenn wir aber die Furcht stark empfinden, so lässt auch sie unseren Magen in unseren Hals steigen. Auch das stört unseren Gleichgewichtssinn, ob wir Achterbahn fahren oder nicht. Sogar dann, wenn die Furcht oder die Angst nicht unmittelbar anwesend ist, kann es vorkommen, dass sie uns in der Seele weiter nachklingt, uns das Denken stört oder den Doppelgänger hereinlässt, und das stört in jedem Fall unser Gleichgewichtsempfinden. Vielleicht bemerken wir das nicht, weil sich der Körper angepasst hat. Aber wir leben dennoch in einem Zustand, der „aus dem Gleichgewicht“ ist. Haben wir aber einigermaßen an den Schwierigkeiten der Furcht bzw. der Angst gearbeitet, sodass sie uns von den unmittelbaren Qualitäten der Welt nicht mehr trennt, so haben wir begonnen, unseren Gleichgewichtssinn auf den Weg zur Verfeinerung zu bringen.
Sehr hilfreich wäre es, morgens beim Aufwachen unsere Aufmerksamkeit kurz auf das Gleichgewicht zu lenken. Während des Schlafes haben unsere Seele und unser Geist den Körper verlassen, und im Lauf der Nacht weilen sie in einer Welt der Raum- und Zeitlosigkeit. Auch das Finden des Gleichgewichts merkt man in der Regel ebensowenig, wie wenn man es verliert. Manchmal fällt es uns wegen eines besonders kräftigen Traums für den Rest des folgenden Tages schwer, uns im Gleichgewicht zu fühlen. Das zeigt, wie wir uns jeden Tag in einen Zustand des Gleichgewichts versetzen müssen. Wenn wir uns „abgehoben“ fühlen, so kann es hilfreich sein, zu spüren, wie die Schwerkraft uns zur Erde hinzieht. Wenn wir uns schwerfällig und träge fühlen, kann es eine Hilfe sein, auf etwas zu meditieren, was Auftrieb hat oder spiritueller Art ist.
Durch das Finden des eigenen Gleichgewichtssinns wird nicht jeder sich dazu berufen fühlen, Tänzer zu werden. Aber es kann durchaus vorkommen, dass man dadurch das Bedürfnis zu tanzen spürt. Anstatt dieses Gefühl einfach zur Kenntnis zu nehmen und es dann loszulassen, können wir es als Chance nutzen, uns der eigenen Körperhaltung unmittelbar bewusst zu werden. Wir können dabei über unsere aufrechte Haltung ins Staunen kommen, und es geht uns dabei auf, wie unsere Bewunderung für diese Haltung uns in Einklang bringt mit dem Himmel über uns und der Erde unter uns. Dieser Einklang kann in einem Gefühl der Übereinstimmung bestehen zwischen uns einerseits und unseren himmelverwandten Idealen bzw. unseren Erdverwandten Begierden andererseits. Ferner kann das eintreten, dass wir uns der Dinge, die uns aus dem Gleichgewicht werfen (das sind Dinge, die mit der Furcht und mit der Angst zu tun haben), bewusster werden, und folglich die äußeren Anzeichen dafür erkennen lernen, wann diese Dinge bei uns im Anzug sind – auch dann, wenn sie auf der Oberfläche mit Furcht oder Angst nichts zu tun zu haben scheinen. Freilich werden diese Eigenschaften des Gleichgewichts ausbleiben, wenn wir nichts unternommen haben, die Angst auszugleichen, und wenn wir in unserer Liebefähigkeit nicht gereift sind.
[1] Michael Howard, ed., Art as Spiritual Activity: Rudolf Steiner’s Contrbution to the Visual Arts. S. 135-154.
In der nächsten Rate wird es um Pantomime und den Bewegungssinn gehen.