Pantomime und Bewegung
Durch den Bewegungssinn erleben wir die Bewegungen des Körpers. Die Organe für diesen Sinn sind die Muskeln. Wenn ich meinen Arm bewege, wird diese Bewegung innen durch die Nerven im Muskelgewebe registriert, und ich nehme den Bewegungsvorgang wahr. Ich erlebe nicht nur die größeren Bewegungen der Arme und Beine, sondern auch kleinere Bewegungen des Körpers: das Wenden des Halses, den Herein- und Herausrhythmus meines Brustkorbs während ich atme, das Sichbewegen meiner Augen, sogar das Auf- und Zugehen meiner Augenlider. Der Bewegungssinn erteilt uns eine innere, körperliche Empfindung der Freiheit. Aber es gehört mehr zu dieser Empfindung, als bloß die Fähigkeit, sich von einem Ort an den anderen zu versetzen. Insbesondere die kleineren Bewegungen, wie zum Beispiel die der Augen, ermöglichen uns auch dann ein Gespür für Freiheit und Beweglichkeit, wenn wir mit dem Körper keine erhebliche Bewegung ausführen.
Von unserem Bewegungssinn können wir viel lernen, wenn er in der Pantomime zu einer Kunstform gesteigert wird. Die Pantomime erhebt den Bewegungssinn zu einer imaginativen Form. Obwohl die Pantomime zu einer seltenen (und nicht immer hoch geschätzten) Kunstform geworden ist und im Großen und Ganzen als eine Art Unterhaltung ausharrt, ist sie recht eigentlich eine hohe Kunst. Der Unterschied zwischen dem Tanz und der Pantomime ist bemerkenswert: Pantomime spielt sich eher in der Zweidimensionalität ab. Obzwar sie in der Dreidimensionalität dargeboten wird, ist es so, wie wenn die Handlung auf einer Fläche stattfände, ähnlich wie wenn der Pantomime das Abtasten einer Fensterscheibe darstellen würde. So wird die Qualität der Bewegung selbst gesteigert, ihr wird Gestalt verliehen, mit Phantasie eingekleidet. Die Gegenstände und Menschen, mit dem der Pantomime interagiert, sind unsichtbar, und so dürfen wir unsere Aufmerksamkeit umso lebhafter auf die Handlung des Sichbewegens selbst richten.
Im gewöhnlichen Leben wird unser Bewegungssinn durch die Gegenwart der Angst bzw. der Furcht stark beeinflusst. Wir erstarren, werden unbeweglich, fühlen uns gehemmt, wie in einer Falle steckend. Das Gestrampele der Furcht kann uns tatsächlich vereinnahmen und uns in seine chaotischen Bewegungen mit hineinziehen. Jemand, der in den Fängen der Furcht steckt, wird vielleicht wild darauf losrennen, schreiend mit den Armen herumrudern. Zwar sind uns dieser körperlichen Störung dann am bewusstesten, wenn die Furcht stark ist, aber sie beeinflusst diesen Sinn ständig und bis dahin, dass wir unter Umständen das Gefühl der Freiheit gar nicht mehr erleben. Wann immer das geschieht, gilt es, uns selbst aus diesem Einfluss dadurch herauszuzerren, dass wir an der Seele bilden, die Phantasie stärken, die vier Arten der Liebe pflegen. Es geht darum, uns von der Liebe bewegen zu lassen, anstatt uns gedankenlos auf Tätigkeiten einzulassen, die zwar zweckmäßig erscheinen mögen, die aber weiter nichts tun, als unsere Kapitulation vor der Furcht zu offenbaren.
Für den Pantomimen ist auch die geringste Gebärde mit Bedeutung erfüllt, mit der Schönheit der Bewegung selbst. Bei einem tiefen Bewusstsein der Bewegung im alltäglichen Leben, fühlen wir von einer Empfindung der Grazie, der Eleganz umgeben. Bewusstes Sichbewegen, wie man sie etwa im Tai Chi zu sehen bekommt, stimmt uns auf die Lebensenergien der Welt ein, lehrt uns, wie wir die Furcht umgehen, wie wir ihr weidenartig-geschmeidig mitgehend nachgeben, anstatt zu versuchen, ihr frontal Widerstand zu leisten und somit sicherzustellen, dass wir von ihr gebrochen werden.
Eine künstlerisch ergriffene, grazile Bewegung deutet darauf hin, dass die Bewegung auf alles abgestimmt ist, was sich in der Welt darbietet. Wenn wir uns hingegen mit lauter mechanischen Einrichtungen umgeben, so tritt allenfalls eine Art Koordination ein, aber das, was die Gestaltung unserer Bewegung überwiegend beeinflusst, sind die mechanischen Objekte, und zwar auf kosten der Spontaneität. Das kann nicht nur mit mechanischen Geräten eintreten, sondern auch mit jeglicher herben Einrichtung unserer Umgebung.
Ich erinnere mich, wie ich einmal beschloss, in Anaheim/Kalifornien, wo ich gerade einer Tagung beiwohnte, einen Spaziergang zu machen. Als ich um die Ecke bog, war ich schockiert, zu sehen, wie der Bürgersteig meilenweit ungebrochen geradeaus zu verlaufen schien. Unerschrocken machte ich mich auf, und nach mehreren Meilen stellte ich eigenartigerweise fest, dass ich es nicht vermochte, einfach aufzuhören, umzukehren und zurückzugehen. Meine Bewegung war durch den langen, engen Betonstreifen geformt worden. Es war so, wie wenn ich sowohl durch das repetitive Gleichsein des Betons als auch durch den eigenen Schritt hypnotisiert worden wäre. Ich verlor in diesem Zusammenhang eine Empfindung der Freiheit. In solcher Umgebung ist es nur schwer möglich, sich darin zu üben, die Bewegung zu einer Kunstform zu machen.
Wenn wir draußen in der Natur spazierengehen – etwa in einer hügeligen Waldgegend – und das Gelände häufig zwischen aufschüssige und abschüssige Strecken wechselt, so wird das Gehen in viel natürlicher Weise zu einer Kunstform. Aber nur wenige von uns haben die Gelegenheit, jeden Tag solche Spaziergänge zu machen. Es wird nötig, sich eine Imagination des Sichbewegens zu bilden. Ein Ansatz dazu ist zu bemerken, wie das Gefühl der Freiheit dann verschwindet, wenn die Umgebung mechanischer Art ist. Auch können wir feststellen, wie wir in solchen Situationen sehr viel leichter der Angst verfallen. Auf meinem Spaziergang in Anaheim befand ich mich in einem Zustand der Angst, obwohl es heller Tag war. Indem die Autos an mir vorbeirasten befürchtete ich, dass eines davon von der Straße abkommen und mich erfassen könnte; ich hatte Angst, ein Wagen voller Gangmitglieder könnte mich sehen und irgendwie bedrohen. Aber sogar in dieser Situation, in der der Beton meine Gangart so stark beeinflusste, merkte ich, dass die Angst zurückging, wenn ich meine Aufmerksamkeit auf die Handlung des Gehens richtete.
Wenn wir künstlerisch leben, übernehmen wir die Verantwortung für das, worauf wir in der Welt unseren Blick richten. Wenn ich nur fahrende Autos und Menschen sehe, die am Bürgersteig entlanghasten, sowie mechanische Kontouren und Formen und harte Gebäudekanten, so wird dadurch das Erlebnis der Freiheit abgestumpft. Das kann ich aufwiegen, indem ich die Bewegungen der Wolken am Himmel betrachte, oder das Wehen der Bäume in einer Brise, oder indem ich mich darauf konzentriere, wie ein bestimmter Mensch sich bewegt, was für Gebärde er mit den Händen macht, wie er den Kopf neigt, mich ansieht, ob dessen Augen auf mich gerichtet bleiben oder durch den Raum hin und her schweifen. Diese kleinen Dinge machen sehr viel aus: Ich bin zum Gestalter geworden und nicht zu demjenigen, der gestaltet wird. Ich bleibe in meinem Bewegungssinn wach und aufmerksam. Nach und nach werde ich Muster und Anordnungen, einheitliche, in vielen Teilen bestehende Bewegungen sehen, die aber eine Ganzheit ergeben. Sogar mein Denken wird anders – nicht so fragmentiert, sondern fließender – und ich bin mir des Denkens anderer Menschen bewusster.
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Durch den Bewegungssinn erleben wir die Bewegungen des Körpers. Die Organe für diesen Sinn sind die Muskeln. Wenn ich meinen Arm bewege, wird diese Bewegung innen durch die Nerven im Muskelgewebe registriert, und ich nehme den Bewegungsvorgang wahr. Ich erlebe nicht nur die größeren Bewegungen der Arme und Beine, sondern auch kleinere Bewegungen des Körpers: das Wenden des Halses, den Herein- und Herausrhythmus meines Brustkorbs während ich atme, das Sichbewegen meiner Augen, sogar das Auf- und Zugehen meiner Augenlider. Der Bewegungssinn erteilt uns eine innere, körperliche Empfindung der Freiheit. Aber es gehört mehr zu dieser Empfindung, als bloß die Fähigkeit, sich von einem Ort an den anderen zu versetzen. Insbesondere die kleineren Bewegungen, wie zum Beispiel die der Augen, ermöglichen uns auch dann ein Gespür für Freiheit und Beweglichkeit, wenn wir mit dem Körper keine erhebliche Bewegung ausführen.
Von unserem Bewegungssinn können wir viel lernen, wenn er in der Pantomime zu einer Kunstform gesteigert wird. Die Pantomime erhebt den Bewegungssinn zu einer imaginativen Form. Obwohl die Pantomime zu einer seltenen (und nicht immer hoch geschätzten) Kunstform geworden ist und im Großen und Ganzen als eine Art Unterhaltung ausharrt, ist sie recht eigentlich eine hohe Kunst. Der Unterschied zwischen dem Tanz und der Pantomime ist bemerkenswert: Pantomime spielt sich eher in der Zweidimensionalität ab. Obzwar sie in der Dreidimensionalität dargeboten wird, ist es so, wie wenn die Handlung auf einer Fläche stattfände, ähnlich wie wenn der Pantomime das Abtasten einer Fensterscheibe darstellen würde. So wird die Qualität der Bewegung selbst gesteigert, ihr wird Gestalt verliehen, mit Phantasie eingekleidet. Die Gegenstände und Menschen, mit dem der Pantomime interagiert, sind unsichtbar, und so dürfen wir unsere Aufmerksamkeit umso lebhafter auf die Handlung des Sichbewegens selbst richten.
Im gewöhnlichen Leben wird unser Bewegungssinn durch die Gegenwart der Angst bzw. der Furcht stark beeinflusst. Wir erstarren, werden unbeweglich, fühlen uns gehemmt, wie in einer Falle steckend. Das Gestrampele der Furcht kann uns tatsächlich vereinnahmen und uns in seine chaotischen Bewegungen mit hineinziehen. Jemand, der in den Fängen der Furcht steckt, wird vielleicht wild darauf losrennen, schreiend mit den Armen herumrudern. Zwar sind uns dieser körperlichen Störung dann am bewusstesten, wenn die Furcht stark ist, aber sie beeinflusst diesen Sinn ständig und bis dahin, dass wir unter Umständen das Gefühl der Freiheit gar nicht mehr erleben. Wann immer das geschieht, gilt es, uns selbst aus diesem Einfluss dadurch herauszuzerren, dass wir an der Seele bilden, die Phantasie stärken, die vier Arten der Liebe pflegen. Es geht darum, uns von der Liebe bewegen zu lassen, anstatt uns gedankenlos auf Tätigkeiten einzulassen, die zwar zweckmäßig erscheinen mögen, die aber weiter nichts tun, als unsere Kapitulation vor der Furcht zu offenbaren.
Für den Pantomimen ist auch die geringste Gebärde mit Bedeutung erfüllt, mit der Schönheit der Bewegung selbst. Bei einem tiefen Bewusstsein der Bewegung im alltäglichen Leben, fühlen wir von einer Empfindung der Grazie, der Eleganz umgeben. Bewusstes Sichbewegen, wie man sie etwa im Tai Chi zu sehen bekommt, stimmt uns auf die Lebensenergien der Welt ein, lehrt uns, wie wir die Furcht umgehen, wie wir ihr weidenartig-geschmeidig mitgehend nachgeben, anstatt zu versuchen, ihr frontal Widerstand zu leisten und somit sicherzustellen, dass wir von ihr gebrochen werden.
Eine künstlerisch ergriffene, grazile Bewegung deutet darauf hin, dass die Bewegung auf alles abgestimmt ist, was sich in der Welt darbietet. Wenn wir uns hingegen mit lauter mechanischen Einrichtungen umgeben, so tritt allenfalls eine Art Koordination ein, aber das, was die Gestaltung unserer Bewegung überwiegend beeinflusst, sind die mechanischen Objekte, und zwar auf kosten der Spontaneität. Das kann nicht nur mit mechanischen Geräten eintreten, sondern auch mit jeglicher herben Einrichtung unserer Umgebung.
Ich erinnere mich, wie ich einmal beschloss, in Anaheim/Kalifornien, wo ich gerade einer Tagung beiwohnte, einen Spaziergang zu machen. Als ich um die Ecke bog, war ich schockiert, zu sehen, wie der Bürgersteig meilenweit ungebrochen geradeaus zu verlaufen schien. Unerschrocken machte ich mich auf, und nach mehreren Meilen stellte ich eigenartigerweise fest, dass ich es nicht vermochte, einfach aufzuhören, umzukehren und zurückzugehen. Meine Bewegung war durch den langen, engen Betonstreifen geformt worden. Es war so, wie wenn ich sowohl durch das repetitive Gleichsein des Betons als auch durch den eigenen Schritt hypnotisiert worden wäre. Ich verlor in diesem Zusammenhang eine Empfindung der Freiheit. In solcher Umgebung ist es nur schwer möglich, sich darin zu üben, die Bewegung zu einer Kunstform zu machen.
Wenn wir draußen in der Natur spazierengehen – etwa in einer hügeligen Waldgegend – und das Gelände häufig zwischen aufschüssige und abschüssige Strecken wechselt, so wird das Gehen in viel natürlicher Weise zu einer Kunstform. Aber nur wenige von uns haben die Gelegenheit, jeden Tag solche Spaziergänge zu machen. Es wird nötig, sich eine Imagination des Sichbewegens zu bilden. Ein Ansatz dazu ist zu bemerken, wie das Gefühl der Freiheit dann verschwindet, wenn die Umgebung mechanischer Art ist. Auch können wir feststellen, wie wir in solchen Situationen sehr viel leichter der Angst verfallen. Auf meinem Spaziergang in Anaheim befand ich mich in einem Zustand der Angst, obwohl es heller Tag war. Indem die Autos an mir vorbeirasten befürchtete ich, dass eines davon von der Straße abkommen und mich erfassen könnte; ich hatte Angst, ein Wagen voller Gangmitglieder könnte mich sehen und irgendwie bedrohen. Aber sogar in dieser Situation, in der der Beton meine Gangart so stark beeinflusste, merkte ich, dass die Angst zurückging, wenn ich meine Aufmerksamkeit auf die Handlung des Gehens richtete.
Wenn wir künstlerisch leben, übernehmen wir die Verantwortung für das, worauf wir in der Welt unseren Blick richten. Wenn ich nur fahrende Autos und Menschen sehe, die am Bürgersteig entlanghasten, sowie mechanische Kontouren und Formen und harte Gebäudekanten, so wird dadurch das Erlebnis der Freiheit abgestumpft. Das kann ich aufwiegen, indem ich die Bewegungen der Wolken am Himmel betrachte, oder das Wehen der Bäume in einer Brise, oder indem ich mich darauf konzentriere, wie ein bestimmter Mensch sich bewegt, was für Gebärde er mit den Händen macht, wie er den Kopf neigt, mich ansieht, ob dessen Augen auf mich gerichtet bleiben oder durch den Raum hin und her schweifen. Diese kleinen Dinge machen sehr viel aus: Ich bin zum Gestalter geworden und nicht zu demjenigen, der gestaltet wird. Ich bleibe in meinem Bewegungssinn wach und aufmerksam. Nach und nach werde ich Muster und Anordnungen, einheitliche, in vielen Teilen bestehende Bewegungen sehen, die aber eine Ganzheit ergeben. Sogar mein Denken wird anders – nicht so fragmentiert, sondern fließender – und ich bin mir des Denkens anderer Menschen bewusster.
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