Musik und das Gehör
Im Zentrum der Musik ist der Gehörsinn. Musik ist aber keine bloße Imitation der Klänge, die man in der Welt hört. Der Gesang mancher Vögel, zum Beispiel, ist melodiös, ist aber keine Musik im eigentlichen Sinne. Das Hören muss bis in den Bereich der Seele gehoben werden, um zu etwas Musikalischem zu werden, und so dem Klang eine neue, imaginative Gestalt zu verleihen. Die musikalische Imagination erfordert mehr als augenblickliche Höhenflüge der Inspiration. Der Musiker muss in seinen Seelentiefen im Hause der Inspiration leben. Die Musik ist buchstäblich der Klang der in der Seele resonierenden Inspiration. Die einzige andere Domäne, in der die Inspiration in so direkter Weise betreten werden kann, ist die der Mathematik.
Die Musik, die wir äußerlich hörend wahrnehmen, ist nicht ganz dasselbe wie das, was der Musiker oder der Komponist in der eigenen Seele vernimmt. Aber wann immer wir eine in Form der Musik zum Ausdruck gebrachte Inspiration der Seele zu hören bekommen, werden wir in die Eigenschaften selber der Musik versetzt; Lieder können uns mit Liebe, mit dem Gefühl der Tragödie, mit Freude erfüllen. Wenn uns die Musik ganz ausfüllt, so bleibt kein Raum übrig, um darüber nachzudenken, was die Klänge bedeuten. Unmittelbar dargebotene Musik tut dies viel wirksamer als eine Tonaufnahme, und zwar nicht allein deshalb, weil wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf ein Orchester oder eine Sängerin richten, sondern auch weil Tonaufnahmen mit der Musik merkwürdige Dinge tun. Tonaufnahmen verflachen den physikalischen Raum, sodass es schwer zu hören ist, wie die Flöten von hinten in der Mitte, die Bratschen von vorne rechts kommen. Wir können nicht mehr empfinden, wie die Musik durch Menschen und Instrumente hindurchfließt, wie sie so sehr zur Musik dazugehören, wie der Klang selbst.
Das Reich der Musik lehrt uns eine Menge über das inspirierte Leben. Inspiriert wir fühlen uns, wenn wir das sind, was wir tun, wenn in unserem Sein für zufällige Gedanken oder Vorstellungen kein Raum übrig bleibt. Wir befinden uns dann mit unseren Handlungen in Übereinstimmung, mit unserem Sinn und Zweck in Harmonie, und wir tun die Dinge im richtigen Rhythmus, mit dem richtigen Timing. Um das, was uns inspiriert, eigentlich zu hören, ist es nötig, dass wir richtig hinhorchen. Haben wir einmal den Ursprung des Gehörten verstanden, so kann uns alles, was uns zur Verfügung steht, zum Instrument werden, um diese Inspiration in die Welt hineinzutragen. Ob ich schreibe, lehre, oder Schuhe verkaufe, alle diese Tätigkeiten lassen sich als inspiriert fühlen. Alles, was wir dann tun, tun wir in schöner, in künstlerischer Weise. Die Inspiration ist nicht ausschließlich Sache der Dichter und Maler und Romanschreiber. Obzwar diese intensiver und womöglich kontinuierlicher in solchen Zuständen leben, ist es durch Üben auch uns normalen Menschen erreichbar. Was uns die Künstler zeigen, das ist, dass es Disziplin und Anstrengung verlangt, will man es dazu zu bringen, in inspirierter Weise zu leben. Das alte Sprichwort, wonach die Genialität zu zehn Prozent aus Inspiration und zu neunzig Prozent aus Transpiration besteht, ist eine unumgängliche Wahrheit. Wir alle haben diese zehn Prozent, aber nur wenige von uns bringen das zur Entwicklung, was nötig ist, um sie zu verwirklichen.
In gleicher Weise wie die Musiker tagein, tagaus auf alle Fälle ihre Instrumente stimmen, sich aufwärmen, Grundübungen lernen und immer und immer wieder üben müssen, in dergleichen Weise müssen auch wir im Leben arbeiten, um uns für die Inspiration zur Verfügung zu stellen. Es geht nicht nur um ein Empfangen unsererseits, sondern es muss alles genau stimmen. Dabei ist unser ganzes Sein unser Instrument – Leib, Seele und Geist. Wenn mein Körper das Eine tut während meine Seele in die eine oder andere Phantasie abhebt und mein Geist gar abwesend zu sein scheint, so ist eine Umstimmung in großem Stil vonnöten. Stress und Angst müssen ausgeräumt werden, damit man sich im eigenen Körper völlig zuhause fühlen kann.
Worin besteht dieses Sichaufwärmen? Im richtigen Atmen, in der richtigen Entspannung, im richtigen Üben, Essen, Fokus der Aufmerksamkeit. Für die Seele einige Grundübungen, wie etwa die im ersten Kapitel beschriebene Übung im Bildschaffen. Und für den Geist eine Meditation. Man nehme zum Beispiel einen einfachen Satz – wie etwa „Wir leben stets im Lichte“ – und meditiere ihn. Das heißt nicht, über ihn nachdenken, sondern ihn in die höheren Regionen des Bewusstseins hineintragen und dort leben lassen. Man richte das Augenmerk auf eines der Wörter („Wir leben stets im Lichte“), dann auf eines der anderen Wörter („Wir leben stets im Lichte“). Das Anliegen dieser Übung ist, allmählich zuzulassen, dass der Fokus des ganzen Satzes auf einem einzelnen Wort liegt. So wird der Satz allmählich als eine Ganzheit existieren, anstatt als eine Aneinanderreihung einzelner Wörter. Ein solches tägliches Üben stimmt das Instrument unseres Seins und offenbart uns, dass der Geist nicht in der gleichen Zeitenfolge lebt, wie wir. Egal wie fortgeschritten wir werden: Wir müssen, genau wie der Musiker, diese Grundübungen fortgesetzt durchhalten.
Nachdem man so lange und so hart geübt hat, kommt dann der Moment, wo der Musiker die Bühne betritt und zu spielen hat. Analog dazu begeben wir uns in die Tätigkeiten des Alltags hinein, die wir als eine Art ernsten Spielens immer wieder aufgreifen. Lasst uns jeden Tag als eine Aufführung gestalten, die in der harmonischen Einigkeit unseres Wesens – als Leib, Seele und Geist – mit der Welt besteht. Ist die Aufführung dann zu Ende, so dürfen wir die Bühne verlassen und weiterüben. Das Leben wird zu einer Sache des Lauschens.
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Im Zentrum der Musik ist der Gehörsinn. Musik ist aber keine bloße Imitation der Klänge, die man in der Welt hört. Der Gesang mancher Vögel, zum Beispiel, ist melodiös, ist aber keine Musik im eigentlichen Sinne. Das Hören muss bis in den Bereich der Seele gehoben werden, um zu etwas Musikalischem zu werden, und so dem Klang eine neue, imaginative Gestalt zu verleihen. Die musikalische Imagination erfordert mehr als augenblickliche Höhenflüge der Inspiration. Der Musiker muss in seinen Seelentiefen im Hause der Inspiration leben. Die Musik ist buchstäblich der Klang der in der Seele resonierenden Inspiration. Die einzige andere Domäne, in der die Inspiration in so direkter Weise betreten werden kann, ist die der Mathematik.
Die Musik, die wir äußerlich hörend wahrnehmen, ist nicht ganz dasselbe wie das, was der Musiker oder der Komponist in der eigenen Seele vernimmt. Aber wann immer wir eine in Form der Musik zum Ausdruck gebrachte Inspiration der Seele zu hören bekommen, werden wir in die Eigenschaften selber der Musik versetzt; Lieder können uns mit Liebe, mit dem Gefühl der Tragödie, mit Freude erfüllen. Wenn uns die Musik ganz ausfüllt, so bleibt kein Raum übrig, um darüber nachzudenken, was die Klänge bedeuten. Unmittelbar dargebotene Musik tut dies viel wirksamer als eine Tonaufnahme, und zwar nicht allein deshalb, weil wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf ein Orchester oder eine Sängerin richten, sondern auch weil Tonaufnahmen mit der Musik merkwürdige Dinge tun. Tonaufnahmen verflachen den physikalischen Raum, sodass es schwer zu hören ist, wie die Flöten von hinten in der Mitte, die Bratschen von vorne rechts kommen. Wir können nicht mehr empfinden, wie die Musik durch Menschen und Instrumente hindurchfließt, wie sie so sehr zur Musik dazugehören, wie der Klang selbst.
Das Reich der Musik lehrt uns eine Menge über das inspirierte Leben. Inspiriert wir fühlen uns, wenn wir das sind, was wir tun, wenn in unserem Sein für zufällige Gedanken oder Vorstellungen kein Raum übrig bleibt. Wir befinden uns dann mit unseren Handlungen in Übereinstimmung, mit unserem Sinn und Zweck in Harmonie, und wir tun die Dinge im richtigen Rhythmus, mit dem richtigen Timing. Um das, was uns inspiriert, eigentlich zu hören, ist es nötig, dass wir richtig hinhorchen. Haben wir einmal den Ursprung des Gehörten verstanden, so kann uns alles, was uns zur Verfügung steht, zum Instrument werden, um diese Inspiration in die Welt hineinzutragen. Ob ich schreibe, lehre, oder Schuhe verkaufe, alle diese Tätigkeiten lassen sich als inspiriert fühlen. Alles, was wir dann tun, tun wir in schöner, in künstlerischer Weise. Die Inspiration ist nicht ausschließlich Sache der Dichter und Maler und Romanschreiber. Obzwar diese intensiver und womöglich kontinuierlicher in solchen Zuständen leben, ist es durch Üben auch uns normalen Menschen erreichbar. Was uns die Künstler zeigen, das ist, dass es Disziplin und Anstrengung verlangt, will man es dazu zu bringen, in inspirierter Weise zu leben. Das alte Sprichwort, wonach die Genialität zu zehn Prozent aus Inspiration und zu neunzig Prozent aus Transpiration besteht, ist eine unumgängliche Wahrheit. Wir alle haben diese zehn Prozent, aber nur wenige von uns bringen das zur Entwicklung, was nötig ist, um sie zu verwirklichen.
In gleicher Weise wie die Musiker tagein, tagaus auf alle Fälle ihre Instrumente stimmen, sich aufwärmen, Grundübungen lernen und immer und immer wieder üben müssen, in dergleichen Weise müssen auch wir im Leben arbeiten, um uns für die Inspiration zur Verfügung zu stellen. Es geht nicht nur um ein Empfangen unsererseits, sondern es muss alles genau stimmen. Dabei ist unser ganzes Sein unser Instrument – Leib, Seele und Geist. Wenn mein Körper das Eine tut während meine Seele in die eine oder andere Phantasie abhebt und mein Geist gar abwesend zu sein scheint, so ist eine Umstimmung in großem Stil vonnöten. Stress und Angst müssen ausgeräumt werden, damit man sich im eigenen Körper völlig zuhause fühlen kann.
Worin besteht dieses Sichaufwärmen? Im richtigen Atmen, in der richtigen Entspannung, im richtigen Üben, Essen, Fokus der Aufmerksamkeit. Für die Seele einige Grundübungen, wie etwa die im ersten Kapitel beschriebene Übung im Bildschaffen. Und für den Geist eine Meditation. Man nehme zum Beispiel einen einfachen Satz – wie etwa „Wir leben stets im Lichte“ – und meditiere ihn. Das heißt nicht, über ihn nachdenken, sondern ihn in die höheren Regionen des Bewusstseins hineintragen und dort leben lassen. Man richte das Augenmerk auf eines der Wörter („Wir leben stets im Lichte“), dann auf eines der anderen Wörter („Wir leben stets im Lichte“). Das Anliegen dieser Übung ist, allmählich zuzulassen, dass der Fokus des ganzen Satzes auf einem einzelnen Wort liegt. So wird der Satz allmählich als eine Ganzheit existieren, anstatt als eine Aneinanderreihung einzelner Wörter. Ein solches tägliches Üben stimmt das Instrument unseres Seins und offenbart uns, dass der Geist nicht in der gleichen Zeitenfolge lebt, wie wir. Egal wie fortgeschritten wir werden: Wir müssen, genau wie der Musiker, diese Grundübungen fortgesetzt durchhalten.
Nachdem man so lange und so hart geübt hat, kommt dann der Moment, wo der Musiker die Bühne betritt und zu spielen hat. Analog dazu begeben wir uns in die Tätigkeiten des Alltags hinein, die wir als eine Art ernsten Spielens immer wieder aufgreifen. Lasst uns jeden Tag als eine Aufführung gestalten, die in der harmonischen Einigkeit unseres Wesens – als Leib, Seele und Geist – mit der Welt besteht. Ist die Aufführung dann zu Ende, so dürfen wir die Bühne verlassen und weiterüben. Das Leben wird zu einer Sache des Lauschens.
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