Angst und Bewusstsein
Auf den Schwingen der Phantasie zur Liebe zu finden; diese Liebe dann durch Schönheit in die Welt hereinzubringen: das scheint adäquat zu beschreiben, wie wir dem alles durchdringenden Einfluss der Furcht entgegnen können. Wer aber hier schon haltmachen wollte, der würde die Vermittlung einer bloß ästhetischen Auffassung der Notwendigkeit eines Dauerkampfes gegen das ständig wachsende Gespenst der Furcht riskieren. Eine imaginative Auffassung dieser Notwendigkeit aber ist es, was Not tut. Kein Ort sollte ungeprüft bleiben, wo die Angst ein Standbein bekommen könnte. Und ein solcher noch ungeprüfter Ort – ein unbetretener Raum, sozusagen –, an dem die Angst und die Furcht wüten, das ist das eigene Bewusstsein. Wenn es zutrifft, dass dieser Raum der ist, der am schwersten zu betreten ist, so liegt das nicht etwa daran, dass die Angst, die wir dort finden, am verderblichsten wäre; es liegt vielmehr daran, dass wir das Bewusstsein selbst verwenden müssen, um der dort befindlichen Angst beizukommen. Und wenn alle Menschen ohne Ausnahme schon ab dem frühsten Alter nachteiligen Einflüssen ausgesetzt, so ist das nicht nur deshalb, weil uns dort unsere persönlichen Ängste begegnen, sondern auch deshalb, weil wir zusätzlich in einer Welt leben, die von Furcht und Angst völlig durchsetzt ist. So schleicht sich die Angst in die Struktur selbst des Denkens, der Erinnerung und des Wahrnehmens ein und gibt den Zusammenhang unseres Bewusstseins ab.
Worin besteht das wachbewusste Leben? Das ist keine leichte Frage. Zu Beginn möchte ich den Unterschied zwischen Bewusstsein und Aufmerksamkeit aufzeigen. Im Wachleben empfinden wir sowohl unseren Leib als auch die uns umgebende Welt. Auch spüren unsere inneren Zustände, unsere Gefühle und Emotionen. Aber bloß weil wir diese Dinge empfinden, heißt es noch nicht, dass wir uns ihrer bewusst sind. Um uns unserer Aufmerksamkeit vollkommen bewusst zu werden, ist ein kognitives Element – das, was Georg Kühlewind das reine Denken nennt – unentbehrlich.[1] Das bewusste Leben funktioniert dann normal, wenn wir uns gleichzeitig auf uns selbst und auf unsere Umwelt besinnen, ohne dass die Waage in die eine oder die andere Richtung zu sehr den Ausschlag gibt. Wenn wir zu selbstbewusst werden, rutscht das Bewusstsein ins Selbstsüchtige und Egoistische; hingegen wenn wir ausschließlich nach außen blicken, werden wir für unsere eigene Teilnahme am bewussten Leben blind.
Ein weiterer zentraler Aspekt des Bewusstseins ist das Gedächtnis. Das Gedächtnis trägt zu unserem Selbstgefühl erheblich bei und ist das, was – zusammen mit dem kognitiven Element des Bewusstseins – das Wahrnehmen vom bloßen Empfinden unterscheidet. Wenn ein kleines Kind zum ersten Mal sieht, wie zum Beispiel ein braunes, haariges Etwas sich über den Fußboden bewegt, so empfindet es etwas, was es vom Schwarm der es umgebenden Licht- Farb- und Geräuschempfindungen kaum unterscheiden kann. Mit der Zeit findet das Kind die Bedeutung dieser Sinneserfahrung und lernt, das „Etwas“ als Hund einzuordnen; einmal in dieser Weise identifiziert, werden die Erfahrungen, die das Kind mit dem Hund macht, zum Aspekt von dessen Erinnerung. Das ermöglicht, dass das Kind andere Hunde wahrnehmen kann, ohne sie jedes Mal neu begreifen zu müssen.
Ein weiterer Aspekt des Bewusstseins ist der Intellekt. Beim Intellekt geht es um die Fähigkeit, Aspekte des gewöhnlichen Bewusstseins zu verwenden – Erkenntnis, Erinnerung und Wahrnehmung –, um auf uns selbst sowie auf die uns umgebende Welt Rückschlüsse zu vollziehen. Auch weitere Tätigkeiten wie zum Beispiel Gefühle, Phantasie, Inspiration und Intuition, können mit unserem Wachbewusstsein verbunden sein. Aber der Ursprung dieser Tätigkeiten sind die Tiefen des Seelenlebens sowie die höheren Vorgänge des Geisteslebens, und genau sie sucht die Angst aus dem gewöhnlichen Wachbewusstsein zu verbannen. Unser alltägliches Dasein besteht hauptsächlich im Egobewusstsein, nämlich in der äußerst eingeengten Spannweite des Bewusstseins, die inzwischen als normal gilt. Aber ohne die volle Spannweite bewusster Tätigkeiten ist das „Normalsein“ in diesem Sinne entschieden abnormal geworden.[2]
Das Egobewusstsein besteht in der starken Tendenz, sich selbst zu befriedigen, indem es alle bewussten Aktivitäten im Dienst des Selbstgefühls, der Selbsterhaltung, des Selbstgenuss, des Manipulierens anderer und der Umwelt einsetzt. Wann immer das Bedürfnis nach Macht zu stark ist, wird das Egobewusstsein zum Geltungsbedürfnis; so wird dieser kleine Ausschnitt des Seelenlebens extrem selbstschützend. Wenn das Fühlen, die Phantasie, die Imagination, die Inspiration oder die Intuition für Augenblicke ins Bewusstsein steigt, kann es vorkommen, dass das Ego sich bedroht fühlt. In der Regel erleben wir diese Domänen des Bewusstseins so, als würden sie ungebeten und eigenmächtig zu uns kommen – sie trotzen etwa der Logik, der Kohärenz, dem Verständnis, und ordnen sich scheinbar der Herrschaft und der Kontrolle des Ego nicht mehr unter. Einmal eingedrungen, können sie unsere „normalen“ Bewusstseinszustände überfordern, unsere kleine Insel des Egos bedrohen und, bei fortgesetztem Eindringen, in uns das Gefühl verursachen, als würden wir wahnsinnig. Was dabei eigentlich geschieht ist, dass die Möglichkeit, ganz Mensch zu werden, uns kundtut.
Das gewöhnliche Bewusstsein lässt uns nur so tief uns selbst erkennen, als unsere persönlichen Erinnerungen reichen; es lässt uns nur durch die Sinne wahrnehmen und nur mit dem Intellekt denken. Unser alltägliches Bewusstsein lässt uns keine Bildhaftigkeit, keine direkte Teilnahme an der Inspiration oder der Intuition zu. Durch Meditation, durch Traumarbeit, durch den Umgang mit gelenkten Bildern oder durch andere das Bewusstsein steigernde Praktiken mögen wir zwar für Augenblicke den Zugang zu diesen Reichen des Bewusstseins erlangen. Aber zu unserer alltäglichen Kost gehören sie nicht. Das Ego verdrängt den Umstand, dass es fortdauernd in Angst lebt, und erhält so die Illusion aufrecht, dass in ihm allein das praktische Bewusstsein besteht. Dadurch trennt es uns von den Bewusstseinsmoden, die es vermöchten, uns den Weg durch eine angstgerittene Welt hindurchzuführen.
Wenn uns dennoch starke Gefühle, Phantasien oder Inspirationen kommen, gehen sie in der Regel mit Angst einher, da wir uns dann nicht mehr als im Ego zentriert empfinden. Wenn ich zum Beispiel einen Traum habe, in dem fünf große, mit Messern herumfuchtelnden Männern hinter mir her sind und schreien, dass sie mich umbringen werden, wenn sie mich erwischen, so wache ich voller Angst auf. Das ist aber eine ganz andere Situation als die, in der fünf mit Messern bewaffnete Männer mir hinterher wären, während ich wach bin. Hier wäre mein Leben in Gefahr. Im Traum fühlt sich mein Egobewusstsein bedroht und machtlos, da ich mit etwas mir völlig Unbekanntem konfrontiert werde, was mein gewöhnliches Bewusstsein überfordert. Die Jung’sche Psychologie würde den Traum als Signal der Notwendigkeit deuten, dass ich mittels der direkten Erfahrung mit meinem Schatten Bekanntschaft mache. Das hieße die Ausschaltung meiner Angst dadurch, dass ich in mir ein imaginatives Bewusstsein ausbilde.
Die Verbindung zwischen Angst und Egobewusstsein kann man nicht lediglich als Ausdruck der Trennung des Egos von den weiteren, tieferen und höheren Aspekten des Bewusstseins verstehen. Führt diese Sichtweise doch zur Vorstellung, dass das Egobewusstsein getilgt werden müsse, um die Angst loszuwerden. Der spirituellen Traditionen, die eben diese Sichtweise behaupten, sind viele. Das Egobewusstsein ist aber nicht einem von der Angst gerittenen Bewusstsein gleichzusetzen. Der zentrale Aspekt des Egobewusstseins – zumal unsere Fähigkeit, eine bewusste Wahl treffen zu können, ein Selbstgefühl zu haben, und individuelle Macht zu besitzen – ist nicht Furcht oder Angst, sondern Freiheit.
Die Furcht, die Angst nistet sich in uns ein, damit wir vergesslich werden mit Bezug auf diesen zentralsten und kreativsten Aspekt des Egobewusstseins. In ihrer Verborgenheit ermächtigt sie sich so gänzlich unser, dass sich das Ego allein schon durch die Möglichkeit des Eindringens anderer Bewusstseinsarten bedroht fühlt. Und wann immer es sich so bedroht fühlt, lässt das Ego die Bedrohung so aussehen, als würde sie von außen kommen. Aber eigentlich versteckt sich unsere Angst in unserem eigenen Egobewusstsein. Die im Egobewusstsein aufgestellten Taktiken der Angst zeugen von einem raffinierten Verdrängungsapparat sowie von einer Intelligenz, die über unsere eigene Schlauheit hinaus gehen. Schon der Umstand, dass wir uns dieser Verdrängung nicht einmal bewusst sind, belegt die Gerissenheit und die Autonomie der Angst.
In der Gegenwart der Angst besitzt die enge, eingeschränkte Spannweite des gewöhnlichen Egobewusstseins eine formale Hauptcharakteristik: Alles, was sie versteht, nimmt sie wortwörtlich. Aus der Perspektive des Egobewusstseins bedeutet etwa Geld weiter nichts als Euro und Cent. Das imaginative Bewusstsein stellt aber unter Geld nicht nur Euros und Cents, sondern auch Macht, Wert, Beziehungen in der Welt, ein Geschenk der Götter, schnöder Mammon, und viele andere, ebenfalls vorhandene Bilder vor. Das Egobewusstsein hat für Metaphern, für Analogien, für Gleichnisse, innere Widersprüchlichkeit, das Bildhafte oder das Erzählerische nur geringe Fähigkeit. Diese Dinge, welche mit imaginativen Gestalten zu tun haben, dürfen nur in Form der Unterhaltung, des Vergnügens, oder gelegentlich als eine Art Schauspiel ins Bewusstsein eindringen.
Diese Eigenschaft, alles wortwörtlich zu nehmen, alles in nur dem einen oder dem anderen Sinn aufzufassen, anstatt die Dinge als mit zweier- oder mehrerlei Bedeutung gleichzeitig ausgestattet sehen zu können, wirkt abtötend auf das vom Egobewusstsein Verstandene. Alles, was lebt, was in Bewegung ist, was dynamisch, regsam, sich ändernd, flüchtig, vorübergehend, dahinschwindend ist (Eigenschaften aller Realität, ob sichtbar oder unsichtbar), ist für den, der der Wortwörtlichkeit verpflichtet ist, in der Stasis festgefroren, als könnte ein Schnappschuss die Bedeutung einer ganzen Welt wiedergeben. Der Wahrnehmungsmodus unseres Egos kann es der Fülle der Wirklichkeit nicht gleichmachen. Die Angst, die Furcht ist es, was sich so abtötend auf das auswirkt, was von unserem Bewusstsein erfasst wird.
[1] Georg Kühlewind, Bewusstseinsstufen, 1980.
[2] Georg Kühlewind, Vom Normalen zum Gesunden: Wege zur Befreiung des erkrankten Bewusstseins. Freies Geistesleben.
Auf den Schwingen der Phantasie zur Liebe zu finden; diese Liebe dann durch Schönheit in die Welt hereinzubringen: das scheint adäquat zu beschreiben, wie wir dem alles durchdringenden Einfluss der Furcht entgegnen können. Wer aber hier schon haltmachen wollte, der würde die Vermittlung einer bloß ästhetischen Auffassung der Notwendigkeit eines Dauerkampfes gegen das ständig wachsende Gespenst der Furcht riskieren. Eine imaginative Auffassung dieser Notwendigkeit aber ist es, was Not tut. Kein Ort sollte ungeprüft bleiben, wo die Angst ein Standbein bekommen könnte. Und ein solcher noch ungeprüfter Ort – ein unbetretener Raum, sozusagen –, an dem die Angst und die Furcht wüten, das ist das eigene Bewusstsein. Wenn es zutrifft, dass dieser Raum der ist, der am schwersten zu betreten ist, so liegt das nicht etwa daran, dass die Angst, die wir dort finden, am verderblichsten wäre; es liegt vielmehr daran, dass wir das Bewusstsein selbst verwenden müssen, um der dort befindlichen Angst beizukommen. Und wenn alle Menschen ohne Ausnahme schon ab dem frühsten Alter nachteiligen Einflüssen ausgesetzt, so ist das nicht nur deshalb, weil uns dort unsere persönlichen Ängste begegnen, sondern auch deshalb, weil wir zusätzlich in einer Welt leben, die von Furcht und Angst völlig durchsetzt ist. So schleicht sich die Angst in die Struktur selbst des Denkens, der Erinnerung und des Wahrnehmens ein und gibt den Zusammenhang unseres Bewusstseins ab.
Worin besteht das wachbewusste Leben? Das ist keine leichte Frage. Zu Beginn möchte ich den Unterschied zwischen Bewusstsein und Aufmerksamkeit aufzeigen. Im Wachleben empfinden wir sowohl unseren Leib als auch die uns umgebende Welt. Auch spüren unsere inneren Zustände, unsere Gefühle und Emotionen. Aber bloß weil wir diese Dinge empfinden, heißt es noch nicht, dass wir uns ihrer bewusst sind. Um uns unserer Aufmerksamkeit vollkommen bewusst zu werden, ist ein kognitives Element – das, was Georg Kühlewind das reine Denken nennt – unentbehrlich.[1] Das bewusste Leben funktioniert dann normal, wenn wir uns gleichzeitig auf uns selbst und auf unsere Umwelt besinnen, ohne dass die Waage in die eine oder die andere Richtung zu sehr den Ausschlag gibt. Wenn wir zu selbstbewusst werden, rutscht das Bewusstsein ins Selbstsüchtige und Egoistische; hingegen wenn wir ausschließlich nach außen blicken, werden wir für unsere eigene Teilnahme am bewussten Leben blind.
Ein weiterer zentraler Aspekt des Bewusstseins ist das Gedächtnis. Das Gedächtnis trägt zu unserem Selbstgefühl erheblich bei und ist das, was – zusammen mit dem kognitiven Element des Bewusstseins – das Wahrnehmen vom bloßen Empfinden unterscheidet. Wenn ein kleines Kind zum ersten Mal sieht, wie zum Beispiel ein braunes, haariges Etwas sich über den Fußboden bewegt, so empfindet es etwas, was es vom Schwarm der es umgebenden Licht- Farb- und Geräuschempfindungen kaum unterscheiden kann. Mit der Zeit findet das Kind die Bedeutung dieser Sinneserfahrung und lernt, das „Etwas“ als Hund einzuordnen; einmal in dieser Weise identifiziert, werden die Erfahrungen, die das Kind mit dem Hund macht, zum Aspekt von dessen Erinnerung. Das ermöglicht, dass das Kind andere Hunde wahrnehmen kann, ohne sie jedes Mal neu begreifen zu müssen.
Ein weiterer Aspekt des Bewusstseins ist der Intellekt. Beim Intellekt geht es um die Fähigkeit, Aspekte des gewöhnlichen Bewusstseins zu verwenden – Erkenntnis, Erinnerung und Wahrnehmung –, um auf uns selbst sowie auf die uns umgebende Welt Rückschlüsse zu vollziehen. Auch weitere Tätigkeiten wie zum Beispiel Gefühle, Phantasie, Inspiration und Intuition, können mit unserem Wachbewusstsein verbunden sein. Aber der Ursprung dieser Tätigkeiten sind die Tiefen des Seelenlebens sowie die höheren Vorgänge des Geisteslebens, und genau sie sucht die Angst aus dem gewöhnlichen Wachbewusstsein zu verbannen. Unser alltägliches Dasein besteht hauptsächlich im Egobewusstsein, nämlich in der äußerst eingeengten Spannweite des Bewusstseins, die inzwischen als normal gilt. Aber ohne die volle Spannweite bewusster Tätigkeiten ist das „Normalsein“ in diesem Sinne entschieden abnormal geworden.[2]
Das Egobewusstsein besteht in der starken Tendenz, sich selbst zu befriedigen, indem es alle bewussten Aktivitäten im Dienst des Selbstgefühls, der Selbsterhaltung, des Selbstgenuss, des Manipulierens anderer und der Umwelt einsetzt. Wann immer das Bedürfnis nach Macht zu stark ist, wird das Egobewusstsein zum Geltungsbedürfnis; so wird dieser kleine Ausschnitt des Seelenlebens extrem selbstschützend. Wenn das Fühlen, die Phantasie, die Imagination, die Inspiration oder die Intuition für Augenblicke ins Bewusstsein steigt, kann es vorkommen, dass das Ego sich bedroht fühlt. In der Regel erleben wir diese Domänen des Bewusstseins so, als würden sie ungebeten und eigenmächtig zu uns kommen – sie trotzen etwa der Logik, der Kohärenz, dem Verständnis, und ordnen sich scheinbar der Herrschaft und der Kontrolle des Ego nicht mehr unter. Einmal eingedrungen, können sie unsere „normalen“ Bewusstseinszustände überfordern, unsere kleine Insel des Egos bedrohen und, bei fortgesetztem Eindringen, in uns das Gefühl verursachen, als würden wir wahnsinnig. Was dabei eigentlich geschieht ist, dass die Möglichkeit, ganz Mensch zu werden, uns kundtut.
Das gewöhnliche Bewusstsein lässt uns nur so tief uns selbst erkennen, als unsere persönlichen Erinnerungen reichen; es lässt uns nur durch die Sinne wahrnehmen und nur mit dem Intellekt denken. Unser alltägliches Bewusstsein lässt uns keine Bildhaftigkeit, keine direkte Teilnahme an der Inspiration oder der Intuition zu. Durch Meditation, durch Traumarbeit, durch den Umgang mit gelenkten Bildern oder durch andere das Bewusstsein steigernde Praktiken mögen wir zwar für Augenblicke den Zugang zu diesen Reichen des Bewusstseins erlangen. Aber zu unserer alltäglichen Kost gehören sie nicht. Das Ego verdrängt den Umstand, dass es fortdauernd in Angst lebt, und erhält so die Illusion aufrecht, dass in ihm allein das praktische Bewusstsein besteht. Dadurch trennt es uns von den Bewusstseinsmoden, die es vermöchten, uns den Weg durch eine angstgerittene Welt hindurchzuführen.
Wenn uns dennoch starke Gefühle, Phantasien oder Inspirationen kommen, gehen sie in der Regel mit Angst einher, da wir uns dann nicht mehr als im Ego zentriert empfinden. Wenn ich zum Beispiel einen Traum habe, in dem fünf große, mit Messern herumfuchtelnden Männern hinter mir her sind und schreien, dass sie mich umbringen werden, wenn sie mich erwischen, so wache ich voller Angst auf. Das ist aber eine ganz andere Situation als die, in der fünf mit Messern bewaffnete Männer mir hinterher wären, während ich wach bin. Hier wäre mein Leben in Gefahr. Im Traum fühlt sich mein Egobewusstsein bedroht und machtlos, da ich mit etwas mir völlig Unbekanntem konfrontiert werde, was mein gewöhnliches Bewusstsein überfordert. Die Jung’sche Psychologie würde den Traum als Signal der Notwendigkeit deuten, dass ich mittels der direkten Erfahrung mit meinem Schatten Bekanntschaft mache. Das hieße die Ausschaltung meiner Angst dadurch, dass ich in mir ein imaginatives Bewusstsein ausbilde.
Die Verbindung zwischen Angst und Egobewusstsein kann man nicht lediglich als Ausdruck der Trennung des Egos von den weiteren, tieferen und höheren Aspekten des Bewusstseins verstehen. Führt diese Sichtweise doch zur Vorstellung, dass das Egobewusstsein getilgt werden müsse, um die Angst loszuwerden. Der spirituellen Traditionen, die eben diese Sichtweise behaupten, sind viele. Das Egobewusstsein ist aber nicht einem von der Angst gerittenen Bewusstsein gleichzusetzen. Der zentrale Aspekt des Egobewusstseins – zumal unsere Fähigkeit, eine bewusste Wahl treffen zu können, ein Selbstgefühl zu haben, und individuelle Macht zu besitzen – ist nicht Furcht oder Angst, sondern Freiheit.
Die Furcht, die Angst nistet sich in uns ein, damit wir vergesslich werden mit Bezug auf diesen zentralsten und kreativsten Aspekt des Egobewusstseins. In ihrer Verborgenheit ermächtigt sie sich so gänzlich unser, dass sich das Ego allein schon durch die Möglichkeit des Eindringens anderer Bewusstseinsarten bedroht fühlt. Und wann immer es sich so bedroht fühlt, lässt das Ego die Bedrohung so aussehen, als würde sie von außen kommen. Aber eigentlich versteckt sich unsere Angst in unserem eigenen Egobewusstsein. Die im Egobewusstsein aufgestellten Taktiken der Angst zeugen von einem raffinierten Verdrängungsapparat sowie von einer Intelligenz, die über unsere eigene Schlauheit hinaus gehen. Schon der Umstand, dass wir uns dieser Verdrängung nicht einmal bewusst sind, belegt die Gerissenheit und die Autonomie der Angst.
In der Gegenwart der Angst besitzt die enge, eingeschränkte Spannweite des gewöhnlichen Egobewusstseins eine formale Hauptcharakteristik: Alles, was sie versteht, nimmt sie wortwörtlich. Aus der Perspektive des Egobewusstseins bedeutet etwa Geld weiter nichts als Euro und Cent. Das imaginative Bewusstsein stellt aber unter Geld nicht nur Euros und Cents, sondern auch Macht, Wert, Beziehungen in der Welt, ein Geschenk der Götter, schnöder Mammon, und viele andere, ebenfalls vorhandene Bilder vor. Das Egobewusstsein hat für Metaphern, für Analogien, für Gleichnisse, innere Widersprüchlichkeit, das Bildhafte oder das Erzählerische nur geringe Fähigkeit. Diese Dinge, welche mit imaginativen Gestalten zu tun haben, dürfen nur in Form der Unterhaltung, des Vergnügens, oder gelegentlich als eine Art Schauspiel ins Bewusstsein eindringen.
Diese Eigenschaft, alles wortwörtlich zu nehmen, alles in nur dem einen oder dem anderen Sinn aufzufassen, anstatt die Dinge als mit zweier- oder mehrerlei Bedeutung gleichzeitig ausgestattet sehen zu können, wirkt abtötend auf das vom Egobewusstsein Verstandene. Alles, was lebt, was in Bewegung ist, was dynamisch, regsam, sich ändernd, flüchtig, vorübergehend, dahinschwindend ist (Eigenschaften aller Realität, ob sichtbar oder unsichtbar), ist für den, der der Wortwörtlichkeit verpflichtet ist, in der Stasis festgefroren, als könnte ein Schnappschuss die Bedeutung einer ganzen Welt wiedergeben. Der Wahrnehmungsmodus unseres Egos kann es der Fülle der Wirklichkeit nicht gleichmachen. Die Angst, die Furcht ist es, was sich so abtötend auf das auswirkt, was von unserem Bewusstsein erfasst wird.
[1] Georg Kühlewind, Bewusstseinsstufen, 1980.
[2] Georg Kühlewind, Vom Normalen zum Gesunden: Wege zur Befreiung des erkrankten Bewusstseins. Freies Geistesleben.