Eindimensionale Angst
Wann immer Angst im gewöhnlichen Bewusstsein heimlich das Sagen hat, besteht ihre Haupttaktik darin, die Realität zu verflachen und aller Erfahrung den Anschein zu verleihen, als wäre sie rein im wortwörtlichen Sinn zu verstehen. Die „normale“ Wirklichkeit lehnt alles ab, was nicht so verflacht werden kann: Die Vernunft stempelt es etwa als „komisch“ oder gar als psychisch krank ab. Eine der Nebentaktiken der Angst ist es, alles, was der Seele entspringt, dem Status des Egos zuzuordnen. Laut der Traumdeutung zum Beispiel tut das Ego den Traum als frivol ab. Oder es verwendet Hinweise, die von außerhalb des Traums selbst geholt werden, um dessen Bedeutung zu beurteilen. Man glaubt, durch psychologisches Interpretieren an die „wirkliche“ Bedeutung des Traums heranzukommen; dabei wird die große Spannweite des Seelenlebens lediglich auf die Ego-Schicht verengt. Durch solches Interpretieren wird die lebendige Qualität des Traums so gut wie getötet. Was die Gefühle betrifft, werden diese als Eigentum verstanden – als „meine“ Gefühle; dabei haben sie ihren Ursprung in einer Sphäre, die ganz andersartig ist, als das normale Bewusstsein. Wenn wir zum Beispiel „Ich empfinde große Traurigkeit“ sagen, so signalisiert das die Vereinnahmung der Domäne des Gefühls durch das Ego. Zutreffender ist es zu sagen: „Eine große Traurigkeit hat mich heimgesucht“. Wenn uns eine Inspiration kommt, so glauben wir, dass wir selbst die Urheber des originellen Einfalls sind. Wegen dieser Vereinnahmung kann uns nichts Neues oder Unbekanntes einfallen, weil das von der Furcht gelenkte Ego-Bewusstsein nur das hereinlässt, was es bereits begreift.
Vielleicht glaubt man, dass das Leben der Seele trotz alledem in seinen Tiefen bis ins Unendliche geht; dass die Seele von Angst und Furcht nicht zerstört werden kann; und dass alle Menschen die Fähigkeit besitzen, sich inspirieren zu lassen, solange sie nur unvoreingenommen sind. Als Erstes ist es aber wichtig zu erkennen, dass die Seele keine „Wesenheit“ ist, nicht einmal eine solche der allersubtilsten Art. Die Seele ist eine Fähigkeit, die dadurch funktioniert, dass sie disparate und polare Eigenschaften zu einer einzigen Form zusammenwebt, nämlich zur Form der Bilder. Das sind wohlgemerkt keine Bilder zum Betrachtetwerden, nicht einmal innerlich. Sie sind vielmehr die Handlung des Verbildlichens selbst. Ferner stellt diese Handlung des Verbildlichens keine Realität dar, welche woanders existieren würde – sie ist kein Verbildlichen eines nicht-Gegenwärtigen –, sondern sie ist eine Darbietung von Wirklichkeiten, die dem landläufigen Bewusstsein unsichtbar bleiben. Wenn die Angst oder die Furcht in diese Seelenfähigkeiten eindringen, können sie sie zerstören.
Schaue dir zum Beispiel eine Rose an. Du vernimmst eine rote Gestalt mit einer bestimmten Geruchsqualität, aber da du schon viele Male einen solchen Eindruck gehabt hast und irgendwann erfahren hast, dass diese Gestalt eine Blume ist, die man „Rose“ nennt, so verleiht deine Erinnerung dem Eindruck eine Bedeutung. Du bist vielleicht Gärtner und hast intellektuelle Kenntnisse über solchen Blumen angesammelt. Du empfindest auch Freude an der Schönheit und dem Duft der Rose. Diese Erfahrungen gehören alle dem Bereich des gewöhnlichen Bewusstseins an. Wenn du dich nun von dem abwendest, was du wahrnimmst, kannst du dir die Rose zwar vorstellen, aber diese vorstellende Tätigkeit wird vom gewöhnlichen Egobewusstsein gefangengenommen und auf es beschränkt. Das führt wiederum dazu, dass du lediglich ein inneres Bild ansiehst. Die lebendige Seelenqualität der Rose ist schon verschwunden; sie ist dem gewöhnlichen Bewusstsein verfallen, denn auch hier ist die Angst beziehungsweise die Furcht eingedrungen und es ist ihr gelungen, das Leben der Rose zu töten. Die dem Egobewusstsein innewohnende Angst blockiert die volle Tiefe des Verbildlichtwerdens der Rose. Es bleibt nur ein Schatten ihrer wahren Wirklichkeit übrig, und doch haben wir von dem, was geschehen ist, gar keine Ahnung.
Eine Rose geht weit darüber hinaus, eine bloß physische Realität zu sein. Das ist sie allerdings auch, aber sie ist außerdem soviel mehr. Wenn, anstatt dich von der Blume abzuwenden und von ihr ein inneres Bild machen zu wollen, du deine Aufmerksamkeit darauf konzentrierst, jeden Aspekt der Wirklichkeit der Rose neu zu erschaffen, wird dich das zum Erleben weit hintergründigerer Eigenschaften führen. Diese Eigenschaften lassen sich kaum mit Worten zum Ausdruck bringen – die außerordentliche Zartheit der Blütenblätter; die tiefrote Farbnuance, die gar nicht so erscheint wie ein farbiger Gegenstand, sondern wie das Leben der Farbe Rot selbst. Du wirst die besondere Form der Blütenblätter gewahr, die nicht so sehr eine Gestalt, als eine Geste sind. Und der Duft – ein so tiefer, dass du ihn schmecken kannst – dringt dir als Zusammenfluss von Duft und Farbe bis ins Zentrum des Herzens.
Durch diesen Akt der Konzentration nähern wir uns der Wirklichkeit der Rose, und das ist erst der Anfang einer wahren Seelenerfahrung von ihr. Man kann sich auf die volle Vorstellung der Rose noch tiefer einlassen; ja man könnte ein ganzes Leben daran zubringen und die Realität der Rose niemals erschöpfen. Man kann über die Blüte hinausgehen und die Blätter, den Stiel, die Stacheln, die Wurzeln, die sie umgebende Erde, die Verbindung zwischen der Rose und dem Himmel, der Sonne, dem Mond und die Sterne imaginieren.
Ferner kann man die Eigenschaften der Rose – Reinheit, Liebe, Zärtlichkeit –, die man gewöhnlich rein symbolisch auffasst, zu Wirklichkeiten machen, indem man sich sorgfältig auf die eigene innere verbildlichende Tätigkeit konzentriert. Gertrude Stein sagte „eine Rose ist eine Rose ist eine Rose,“ was für das Egobewusstsein soviel bedeutet, wie: Man solle in die Rose nicht zu viel hineinlesen; eine Rose sei weiter nichts, als eine Rose. Für das Bilderbewusstsein aber bedeutet dieses Wort Gertrude Steins, dass die Realität der Rose immer weiter und weiter und weiter geht.
Wenn du diese Konzentrationsübung versuchst, wirst du womöglich als Erstes Angst oder Furcht erleben. Wann immer wir versuchen, das gewöhnliche Egobewusstsein abzustreifen, tritt die diesem Bewusstsein innewohnende Angst hervor und will eine Mauer bauen, als wollte sie uns warnen vor dem Übertreten der Grenze zu einem weiteren, ausgedehnteren Bewusstsein. Angst und Furcht handeln aber sehr rasch, und es kann geschehen, dass du diesen Impuls zum Errichten einer Mauer nicht direkt fühlst. Stattdessen fühlst du womöglich, dass du deine Konzentration nicht auf das innere Bild gerichtet halten kannst, ohne dass andere Gedanken, Gefühle und Bilder hereinfluten. Oder du tust die Übung als lächerlich ab, oder du fühlst dich wegen des Versuchs frustriert oder überfordert. Die Furcht schwebt bei allen solchen Reaktionen sehr in der Nähe. Hast du einmal in deinem Leben besonders starke Furcht und Angst erfahren, so kannst du eine schwere Verletzung der Fähigkeit erlitten haben, die innere Aufmerksamkeit zu bündeln. Denn ab da behauptet die Furcht ihre Position von innerhalb des Egobewusstseins umso intensiver: Sie trennt nahezu komplett das gewöhnliche Bewusstsein von allen anderen Bewusstseinsmodi ab.
Wie finden Furcht und Ängste den Weg aus der Welt hinaus und in ihren versteckten Wohnsitz im Egobewusstsein hinein? Durch den Körper. Körperliche Angstkrämpfe klingen nach und wirken aus dem Körper heraus ins Bewusstsein herein. Auch erinnerte Erlebnisse der Angst oder der Furcht wirken in dieser Weise. Ja schon unsere Kultur selbst fördert dieses furchtgeladene Nachhallen, und wirklich: Diese Kultur lässt keinen Raum für lebendige Verbindungen mit geistigen Welten übrig. So offen heutzutage Beziehungen zu Engeln, geistigen Führern oder den Verstorbenen auch besprochen werden: Nach wie vor sind solche Erfahrungen Randerscheinungen, die oft mit Skepsis entgegengenommen werden. Aber der ungeheure Trost und die Führung, die aus ihnen zu gewinnen ist, bieten das Gegengift zu Furcht und Angst. Wenn im Kulturleben solche Wirklichkeiten keinen Platz haben, findet die Angst ungehindert den Weg ins Egobewusstsein.
Wann immer Angst im gewöhnlichen Bewusstsein heimlich das Sagen hat, besteht ihre Haupttaktik darin, die Realität zu verflachen und aller Erfahrung den Anschein zu verleihen, als wäre sie rein im wortwörtlichen Sinn zu verstehen. Die „normale“ Wirklichkeit lehnt alles ab, was nicht so verflacht werden kann: Die Vernunft stempelt es etwa als „komisch“ oder gar als psychisch krank ab. Eine der Nebentaktiken der Angst ist es, alles, was der Seele entspringt, dem Status des Egos zuzuordnen. Laut der Traumdeutung zum Beispiel tut das Ego den Traum als frivol ab. Oder es verwendet Hinweise, die von außerhalb des Traums selbst geholt werden, um dessen Bedeutung zu beurteilen. Man glaubt, durch psychologisches Interpretieren an die „wirkliche“ Bedeutung des Traums heranzukommen; dabei wird die große Spannweite des Seelenlebens lediglich auf die Ego-Schicht verengt. Durch solches Interpretieren wird die lebendige Qualität des Traums so gut wie getötet. Was die Gefühle betrifft, werden diese als Eigentum verstanden – als „meine“ Gefühle; dabei haben sie ihren Ursprung in einer Sphäre, die ganz andersartig ist, als das normale Bewusstsein. Wenn wir zum Beispiel „Ich empfinde große Traurigkeit“ sagen, so signalisiert das die Vereinnahmung der Domäne des Gefühls durch das Ego. Zutreffender ist es zu sagen: „Eine große Traurigkeit hat mich heimgesucht“. Wenn uns eine Inspiration kommt, so glauben wir, dass wir selbst die Urheber des originellen Einfalls sind. Wegen dieser Vereinnahmung kann uns nichts Neues oder Unbekanntes einfallen, weil das von der Furcht gelenkte Ego-Bewusstsein nur das hereinlässt, was es bereits begreift.
Vielleicht glaubt man, dass das Leben der Seele trotz alledem in seinen Tiefen bis ins Unendliche geht; dass die Seele von Angst und Furcht nicht zerstört werden kann; und dass alle Menschen die Fähigkeit besitzen, sich inspirieren zu lassen, solange sie nur unvoreingenommen sind. Als Erstes ist es aber wichtig zu erkennen, dass die Seele keine „Wesenheit“ ist, nicht einmal eine solche der allersubtilsten Art. Die Seele ist eine Fähigkeit, die dadurch funktioniert, dass sie disparate und polare Eigenschaften zu einer einzigen Form zusammenwebt, nämlich zur Form der Bilder. Das sind wohlgemerkt keine Bilder zum Betrachtetwerden, nicht einmal innerlich. Sie sind vielmehr die Handlung des Verbildlichens selbst. Ferner stellt diese Handlung des Verbildlichens keine Realität dar, welche woanders existieren würde – sie ist kein Verbildlichen eines nicht-Gegenwärtigen –, sondern sie ist eine Darbietung von Wirklichkeiten, die dem landläufigen Bewusstsein unsichtbar bleiben. Wenn die Angst oder die Furcht in diese Seelenfähigkeiten eindringen, können sie sie zerstören.
Schaue dir zum Beispiel eine Rose an. Du vernimmst eine rote Gestalt mit einer bestimmten Geruchsqualität, aber da du schon viele Male einen solchen Eindruck gehabt hast und irgendwann erfahren hast, dass diese Gestalt eine Blume ist, die man „Rose“ nennt, so verleiht deine Erinnerung dem Eindruck eine Bedeutung. Du bist vielleicht Gärtner und hast intellektuelle Kenntnisse über solchen Blumen angesammelt. Du empfindest auch Freude an der Schönheit und dem Duft der Rose. Diese Erfahrungen gehören alle dem Bereich des gewöhnlichen Bewusstseins an. Wenn du dich nun von dem abwendest, was du wahrnimmst, kannst du dir die Rose zwar vorstellen, aber diese vorstellende Tätigkeit wird vom gewöhnlichen Egobewusstsein gefangengenommen und auf es beschränkt. Das führt wiederum dazu, dass du lediglich ein inneres Bild ansiehst. Die lebendige Seelenqualität der Rose ist schon verschwunden; sie ist dem gewöhnlichen Bewusstsein verfallen, denn auch hier ist die Angst beziehungsweise die Furcht eingedrungen und es ist ihr gelungen, das Leben der Rose zu töten. Die dem Egobewusstsein innewohnende Angst blockiert die volle Tiefe des Verbildlichtwerdens der Rose. Es bleibt nur ein Schatten ihrer wahren Wirklichkeit übrig, und doch haben wir von dem, was geschehen ist, gar keine Ahnung.
Eine Rose geht weit darüber hinaus, eine bloß physische Realität zu sein. Das ist sie allerdings auch, aber sie ist außerdem soviel mehr. Wenn, anstatt dich von der Blume abzuwenden und von ihr ein inneres Bild machen zu wollen, du deine Aufmerksamkeit darauf konzentrierst, jeden Aspekt der Wirklichkeit der Rose neu zu erschaffen, wird dich das zum Erleben weit hintergründigerer Eigenschaften führen. Diese Eigenschaften lassen sich kaum mit Worten zum Ausdruck bringen – die außerordentliche Zartheit der Blütenblätter; die tiefrote Farbnuance, die gar nicht so erscheint wie ein farbiger Gegenstand, sondern wie das Leben der Farbe Rot selbst. Du wirst die besondere Form der Blütenblätter gewahr, die nicht so sehr eine Gestalt, als eine Geste sind. Und der Duft – ein so tiefer, dass du ihn schmecken kannst – dringt dir als Zusammenfluss von Duft und Farbe bis ins Zentrum des Herzens.
Durch diesen Akt der Konzentration nähern wir uns der Wirklichkeit der Rose, und das ist erst der Anfang einer wahren Seelenerfahrung von ihr. Man kann sich auf die volle Vorstellung der Rose noch tiefer einlassen; ja man könnte ein ganzes Leben daran zubringen und die Realität der Rose niemals erschöpfen. Man kann über die Blüte hinausgehen und die Blätter, den Stiel, die Stacheln, die Wurzeln, die sie umgebende Erde, die Verbindung zwischen der Rose und dem Himmel, der Sonne, dem Mond und die Sterne imaginieren.
Ferner kann man die Eigenschaften der Rose – Reinheit, Liebe, Zärtlichkeit –, die man gewöhnlich rein symbolisch auffasst, zu Wirklichkeiten machen, indem man sich sorgfältig auf die eigene innere verbildlichende Tätigkeit konzentriert. Gertrude Stein sagte „eine Rose ist eine Rose ist eine Rose,“ was für das Egobewusstsein soviel bedeutet, wie: Man solle in die Rose nicht zu viel hineinlesen; eine Rose sei weiter nichts, als eine Rose. Für das Bilderbewusstsein aber bedeutet dieses Wort Gertrude Steins, dass die Realität der Rose immer weiter und weiter und weiter geht.
Wenn du diese Konzentrationsübung versuchst, wirst du womöglich als Erstes Angst oder Furcht erleben. Wann immer wir versuchen, das gewöhnliche Egobewusstsein abzustreifen, tritt die diesem Bewusstsein innewohnende Angst hervor und will eine Mauer bauen, als wollte sie uns warnen vor dem Übertreten der Grenze zu einem weiteren, ausgedehnteren Bewusstsein. Angst und Furcht handeln aber sehr rasch, und es kann geschehen, dass du diesen Impuls zum Errichten einer Mauer nicht direkt fühlst. Stattdessen fühlst du womöglich, dass du deine Konzentration nicht auf das innere Bild gerichtet halten kannst, ohne dass andere Gedanken, Gefühle und Bilder hereinfluten. Oder du tust die Übung als lächerlich ab, oder du fühlst dich wegen des Versuchs frustriert oder überfordert. Die Furcht schwebt bei allen solchen Reaktionen sehr in der Nähe. Hast du einmal in deinem Leben besonders starke Furcht und Angst erfahren, so kannst du eine schwere Verletzung der Fähigkeit erlitten haben, die innere Aufmerksamkeit zu bündeln. Denn ab da behauptet die Furcht ihre Position von innerhalb des Egobewusstseins umso intensiver: Sie trennt nahezu komplett das gewöhnliche Bewusstsein von allen anderen Bewusstseinsmodi ab.
Wie finden Furcht und Ängste den Weg aus der Welt hinaus und in ihren versteckten Wohnsitz im Egobewusstsein hinein? Durch den Körper. Körperliche Angstkrämpfe klingen nach und wirken aus dem Körper heraus ins Bewusstsein herein. Auch erinnerte Erlebnisse der Angst oder der Furcht wirken in dieser Weise. Ja schon unsere Kultur selbst fördert dieses furchtgeladene Nachhallen, und wirklich: Diese Kultur lässt keinen Raum für lebendige Verbindungen mit geistigen Welten übrig. So offen heutzutage Beziehungen zu Engeln, geistigen Führern oder den Verstorbenen auch besprochen werden: Nach wie vor sind solche Erfahrungen Randerscheinungen, die oft mit Skepsis entgegengenommen werden. Aber der ungeheure Trost und die Führung, die aus ihnen zu gewinnen ist, bieten das Gegengift zu Furcht und Angst. Wenn im Kulturleben solche Wirklichkeiten keinen Platz haben, findet die Angst ungehindert den Weg ins Egobewusstsein.