Malerei und das Sehen
Der Maler geht mit der Farbe und der Form so um, dass ein Bild entsteht, welches uns die innere Tiefe der Welt offenbart. Der Maler kann sein Vorstellungsvermögen nach außen richten. Er kann durch die Oberfläche der Gegenstände hindurch bis in deren innere Qualitäten hinein sehen. Auch kann er sein Vorstellungsvermögen nach innen richten und innerhalb der Seele selbst sehend sein. In beiden Fällen vermag der Maler zu sehen, dass Farbe und Form lebendige Wesenheiten sind.
Wo der Laie vielleicht nur ein rotes Objekt, eine statische Form mit einer farbigen Oberfläche sieht, empfindet der Maler die Tätigkeit eines solchen Objekts und sucht, dieselbe auf der Leinwand zu festzuhalten. Normale Menschen betrachten ein Feld voller Sonnenblumen und bewundern vielleicht seine Schönheit. Aber van Gogh erlebte das leuchtende Gelb im Kontrast zum Blau des Himmels mit einer solchen Lebensintensität, dass es ihn nahezu umbrachte, ein Bild von dem zu machen, was er sah. Der mit solchem Sehvermögen ausgestattete Maler sieht nicht nur das vor ihm Ausgebreitete und versucht es darzustellen; er sieht vielmehr eine einheitliche, aus Farbe und Form bestehende Ganzheit. Und er weiß obendrein, dass es die Seele ist, welche diese Wahrnehmung vollzieht. Dieser Seh-Eindruck entsteht nicht aus der distanzierten Perspektive eines allwissenden Zuschauers. Das, was der Maler sieht, ergibt sich, indem sein imaginales Bewusstsein und die Außenwelt zusammenwachsen. Egal welchen Inhalt der Maler darstellt: Aus dieser Art des Sehens geht es hervor.
So zu beobachten erfasst die Realität in tiefgehenderer Weise als es die Wissenschaft tut, da die erstere Beobachtungsweise denjenigen mitberücksichtigt, der sieht. Und zwar berücksichtigt sie ihn nicht als bloß theoretischen Konstrukt, sondern als ein tatsächlich Daseiendes. Wenn man die Welt so betrachtet, besteht sie nicht mehr bloß aus Dingen und Prozessen, sondern aus lebendigen Wesen, die ihr inneres Wesen nur dadurch zur Darstellung kommen, dass sie von der Seele gesehen werden.
Da wir in der Regel die Welt nicht so sehen, wie ein Maler sie sieht, werden für uns die Dinge der Welt vermindert. Deren innere Eigenschaften werden geopfert, und sie werden konsumiert anstatt gelobpreist zu werden. Was wärest du, wenn dich niemand je sehen würde? Zunächst würdest du dich einsam und isoliert fühlen, wie wenn du nicht in die Welt hineingehörtest. Als Reaktion würdest du womöglich deine Anwesenheit übertreiben. Aber mit der Zeit würdest du einfach verkümmern. Im wortwörtlichen Sinne sterben würdest du vielleicht nicht, aber du würdest mehr wie ein Automat werden, als ein mit Seele begabtes Wesen.
Wenn wir nicht tief in die Welt hineinschauen, wenn wir nicht das Leben der Welt in einer Weise sehen, die dem Sehen des Malers entspricht, so welkt auch die Welt und stirbt dahin – auch dann, wenn es an der Oberfläche so aussieht, wie wenn alles seinen normalen Gang nehmen würde. Deshalb werden die Meere mit Öl verpestet, weil wir nicht sehen können, dass sie nicht bloß Leben enthalten, sondern dass sie selbst leben. Deshalb werden die Wälder erbarmungslos gerodet, weil wir für Bäume sozusagen blind geworden sind. Deshalb verfallen ungeheure Landflächen riesigen Einkaufzentren, weil wir die lebendige Landschaft nicht sehen können.
Für jeden, der die Welt auch nur ansatzweise sehen kann, kann das Sehen schmerzhaft sein. Obwohl es nicht unmittelbar deutlich sein mag, ist ein Großteil der Welt um uns her schon jetzt tot. Wer soviel Zeit opfert, wer soviel Zuwendung aufbringt, dass er in noch so geringem Maße das Leben wieder sehen lernt, dem zeigt sich mit tragischer Klarheit, wie sehr die Welt bereits von der Furcht dominiert ist. Wirklich hinzusehen erfordert allerdings spirituellen Mut; aber unsere Bemühungen, durch die Augen der Seele zu sehen und dabei nicht in Entsetzen zurückzuschrecken, werden von der Welt nicht unbemerkt bleiben.
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Der Maler geht mit der Farbe und der Form so um, dass ein Bild entsteht, welches uns die innere Tiefe der Welt offenbart. Der Maler kann sein Vorstellungsvermögen nach außen richten. Er kann durch die Oberfläche der Gegenstände hindurch bis in deren innere Qualitäten hinein sehen. Auch kann er sein Vorstellungsvermögen nach innen richten und innerhalb der Seele selbst sehend sein. In beiden Fällen vermag der Maler zu sehen, dass Farbe und Form lebendige Wesenheiten sind.
Wo der Laie vielleicht nur ein rotes Objekt, eine statische Form mit einer farbigen Oberfläche sieht, empfindet der Maler die Tätigkeit eines solchen Objekts und sucht, dieselbe auf der Leinwand zu festzuhalten. Normale Menschen betrachten ein Feld voller Sonnenblumen und bewundern vielleicht seine Schönheit. Aber van Gogh erlebte das leuchtende Gelb im Kontrast zum Blau des Himmels mit einer solchen Lebensintensität, dass es ihn nahezu umbrachte, ein Bild von dem zu machen, was er sah. Der mit solchem Sehvermögen ausgestattete Maler sieht nicht nur das vor ihm Ausgebreitete und versucht es darzustellen; er sieht vielmehr eine einheitliche, aus Farbe und Form bestehende Ganzheit. Und er weiß obendrein, dass es die Seele ist, welche diese Wahrnehmung vollzieht. Dieser Seh-Eindruck entsteht nicht aus der distanzierten Perspektive eines allwissenden Zuschauers. Das, was der Maler sieht, ergibt sich, indem sein imaginales Bewusstsein und die Außenwelt zusammenwachsen. Egal welchen Inhalt der Maler darstellt: Aus dieser Art des Sehens geht es hervor.
So zu beobachten erfasst die Realität in tiefgehenderer Weise als es die Wissenschaft tut, da die erstere Beobachtungsweise denjenigen mitberücksichtigt, der sieht. Und zwar berücksichtigt sie ihn nicht als bloß theoretischen Konstrukt, sondern als ein tatsächlich Daseiendes. Wenn man die Welt so betrachtet, besteht sie nicht mehr bloß aus Dingen und Prozessen, sondern aus lebendigen Wesen, die ihr inneres Wesen nur dadurch zur Darstellung kommen, dass sie von der Seele gesehen werden.
Da wir in der Regel die Welt nicht so sehen, wie ein Maler sie sieht, werden für uns die Dinge der Welt vermindert. Deren innere Eigenschaften werden geopfert, und sie werden konsumiert anstatt gelobpreist zu werden. Was wärest du, wenn dich niemand je sehen würde? Zunächst würdest du dich einsam und isoliert fühlen, wie wenn du nicht in die Welt hineingehörtest. Als Reaktion würdest du womöglich deine Anwesenheit übertreiben. Aber mit der Zeit würdest du einfach verkümmern. Im wortwörtlichen Sinne sterben würdest du vielleicht nicht, aber du würdest mehr wie ein Automat werden, als ein mit Seele begabtes Wesen.
Wenn wir nicht tief in die Welt hineinschauen, wenn wir nicht das Leben der Welt in einer Weise sehen, die dem Sehen des Malers entspricht, so welkt auch die Welt und stirbt dahin – auch dann, wenn es an der Oberfläche so aussieht, wie wenn alles seinen normalen Gang nehmen würde. Deshalb werden die Meere mit Öl verpestet, weil wir nicht sehen können, dass sie nicht bloß Leben enthalten, sondern dass sie selbst leben. Deshalb werden die Wälder erbarmungslos gerodet, weil wir für Bäume sozusagen blind geworden sind. Deshalb verfallen ungeheure Landflächen riesigen Einkaufzentren, weil wir die lebendige Landschaft nicht sehen können.
Für jeden, der die Welt auch nur ansatzweise sehen kann, kann das Sehen schmerzhaft sein. Obwohl es nicht unmittelbar deutlich sein mag, ist ein Großteil der Welt um uns her schon jetzt tot. Wer soviel Zeit opfert, wer soviel Zuwendung aufbringt, dass er in noch so geringem Maße das Leben wieder sehen lernt, dem zeigt sich mit tragischer Klarheit, wie sehr die Welt bereits von der Furcht dominiert ist. Wirklich hinzusehen erfordert allerdings spirituellen Mut; aber unsere Bemühungen, durch die Augen der Seele zu sehen und dabei nicht in Entsetzen zurückzuschrecken, werden von der Welt nicht unbemerkt bleiben.
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