Angst und der Intellekt
Am allerschlimmsten wütet die Angst im Bereich unseres alltäglichen Denkens. Beim Einsatz der Erkenntnis, der Erinnerung und der Wahrnehmung zur Weiterbildung des Intellekts drängt sich die Angst dazwischen. Das schneidet das Seelenleben vom normalen Bewusstsein ab und das Denken wird ungesund. Nicht der Inhalt dessen, was man denkt. Sondern die Handlung des Denkens selbst bekommt eine Struktur, die insgeheim mit der Angst zusammenarbeitet.
Zwar kann das Denken eine Tätigkeit der Seele sein, aber für die meisten von uns ist es eine Handlung des Egobewusstseins. Mit der Bezeichnung des Denkens als eine Tätigkeit der Seele meine ich die Fähigkeit, durch das Bilden von Ideen zu Erkenntnissen zu kommen. Ideen sind Bilder – das Wort Idee kommt vom griechischen eidos, was „Bild“ bedeutet. Wann immer die Angst in die Tiefen unseres Bewusstseins hineingelangt, schwindet die Fähigkeit, Ideen als Bilder zu formen, dahin. Wir erleben die Ideen fast ausschließlich in der Dimension der Brauchbarkeit anstatt in ihrer Eigenschaft als sakrale Gebilde.
Die erkennende Phantasie funktioniert dadurch, dass die zwei zur Ideenbildung erforderlichen Polaritäten, nämlich Differenzierung und Ganzheitlichkeit, zusammengewoben werden. (Polaritäten sind keine Gegensätze, sondern sie existieren im Tandem, die eine braucht die andere, genauso wie das Licht ohne die Finsternis nicht existieren kann.[1]) Im gewöhnlichen Denken herrscht die Seite der Differenzierung vor. Wir teilen, trennen, analysieren, begutachten, nehmen die Dinge auseinander, brechen sie in immer kleinere Fragmente herunter, rationalisieren. Was wir nach dieser Art kennen, sind Abstraktionen, nicht die Fülle der Wirklichkeit. Diese Denkart verliert den Blick für das Ganze und macht die Begriffswelt kalt und bar einer gesunden Gefühlskomponente. Zugleich tendiert aber das so genannte ganzheitliche Denken, welches entstand, um die Schäden auszugleichen, die über Jahrhunderte hin durch den analytischen Modus verursacht wurden, zur zu starken Verallgemeinerung, zur Undeutlichkeit, zur Verschwommenheit, zur Sentimentalität, zu einem Mangel an Konkretheit hin. Keine dieser beiden Denkarten gilt als bildhafte Erkenntnis. Was die zwei Polaritäten auseinanderzerrt, das ist die verdeckte Gegenwart der Angst im Zentrum des gewöhnlichen Bewusstseins. Die Angst, welche die erkennende Tätigkeit einerseits und die Phantasie anderseits zum gegenseitigen Misstrauen anstiftet.
Überwiegt im Denken die Seite des Differenzierens, so wird unser kognitives Leben mit Abstraktionen verflacht. Die Verflachung bewirkt, dass wir die Dinge in einer einzigen Dimension sehen und dieses Einzige zum Ganzen werden lassen. Die Angst packt diese Darbietung der Realität und verwendet sie dazu, unser Denken zu einer Diskussion zu machen. Wir verteidigen unseren einseitigen Standpunkt und sind dabei außerstande, die vielen Seiten der Angelegenheit aufzunehmen. Wir kommen zur Auffassung, dass der ganze Sinn und Zweck des Denkens der ist, zu einer Schlussfolgerung zu kommen. Das beeinträchtigt die Möglichkeit einer Bilderkenntnis noch weiter. Sind wir einmal in dieser Vorstellung eingebettet, denken wir nicht mehr im eigentlich Sinne, sondern wir reihen bloß Gedanken aneinander, um zu einem Schluss zu kommen. Ein solches Denken tut nichts, um Schöpferisches in die Welt zu bringen. Unser Verstand greift lediglich nach schon fertigen Gedanken, die so in der Welt herumzirkulieren wie alte, verschlissene Münzen.
Das Zusammenweben der Polaritäten Differenzierung und Ganzheit erzeugt eine Art Denken, die Wärme und Nuanciertheit besitzt, und die in ihrem Wesen eine künstlerische Tätigkeit ist. Ein Künstler, zum Beispiel, verbildlicht das ganze Gemälde, an dem er arbeitet, und zu gleicher Zeit sieht er jeden einzelnen Teil des Gemäldes im Verhältnis zu den anderen. Zwar versucht er nicht, sich das fertige Gemälde vorzustellen schon bevor er mit dem Malen begonnen hat, denn das wäre so, wie wenn er eine Abstraktion auf die Leinwand übertragen wollte. Aber der wahre Künstler hat gleich zu Beginn eine ziemlich klare Konzeption des Ganzen sowie auch davon, wie die Besonderheiten des Gemäldes dieses Ganze ans Licht fördern werden. Das Ganze ist vollkommen reell, wenngleich unsichtbar; reell wird es erst durch die Teile, durch die es zusammengesetzt wird, und das ist eine Eigenschaft auch der bildhaften Erkenntnis. So wie ein Musiker nicht bloß einzelne Töne aneinanderreiht, sondern in jedem einzelnen Abschnitt das ganze Stück anwesend sein lässt, in der gleichen Weise ist die bildhafte Erkenntnis eine Art Orchestrierung. Wir können es fertigbringen, unser alltägliches Leben zu einem Vorgang der künstlerischen Erkenntnis zu machen. Wir müssen nur darauf achten, wie alles, was wir tun, in einem Gesamtzusammenhang steht, der aus unseren Verbindungen mit anderen, mit der Welt und mit den geistigen und seelischen Reichen gewebten.
Das Denken im Modus der Differenzierung und Analyse eignet sich besser für die materiellen Aspekte der Wirklichkeit, während das Denken im Modus der Ganzheitlichkeit besser zu den spirituellen Aspekten der Wirklichkeit passt. Leider tendieren diese beiden Sphären in eine je eigene Richtung, und genau das ist es, was die Angst will. Das wissenschaftliche Denken zum Beispiel hat den Modus der Differentiation auf die höchste Stufe seiner Entwicklung gebracht, während das religiöse Denken und das spirituelle Denken die Ganzheitlichkeit ausgebildet haben. Sowohl das wissenschaftliche als auch das religiöse Denken regen zwar zu Phantasien der Hoffnung an, aber keines der beiden richtet viel aus, um die Hoffnung zu einem tatsächlichen Erlebnis werden zu lassen. Eine Vereinigung dieser zwei zu einer neuen Form des Bild-Denkens könnte zur Verminderung der Angst in der Welt eine Menge ausrichten. Denn dadurch würde die Hoffnung als Erkenntnismodus wieder hergestellt.
[1] Dennis Klocek, Seeking Spirit Vision (Fair Oaks, CA: Rudolf Steiner College Press, 1998), S. 11-21.
Am allerschlimmsten wütet die Angst im Bereich unseres alltäglichen Denkens. Beim Einsatz der Erkenntnis, der Erinnerung und der Wahrnehmung zur Weiterbildung des Intellekts drängt sich die Angst dazwischen. Das schneidet das Seelenleben vom normalen Bewusstsein ab und das Denken wird ungesund. Nicht der Inhalt dessen, was man denkt. Sondern die Handlung des Denkens selbst bekommt eine Struktur, die insgeheim mit der Angst zusammenarbeitet.
Zwar kann das Denken eine Tätigkeit der Seele sein, aber für die meisten von uns ist es eine Handlung des Egobewusstseins. Mit der Bezeichnung des Denkens als eine Tätigkeit der Seele meine ich die Fähigkeit, durch das Bilden von Ideen zu Erkenntnissen zu kommen. Ideen sind Bilder – das Wort Idee kommt vom griechischen eidos, was „Bild“ bedeutet. Wann immer die Angst in die Tiefen unseres Bewusstseins hineingelangt, schwindet die Fähigkeit, Ideen als Bilder zu formen, dahin. Wir erleben die Ideen fast ausschließlich in der Dimension der Brauchbarkeit anstatt in ihrer Eigenschaft als sakrale Gebilde.
Die erkennende Phantasie funktioniert dadurch, dass die zwei zur Ideenbildung erforderlichen Polaritäten, nämlich Differenzierung und Ganzheitlichkeit, zusammengewoben werden. (Polaritäten sind keine Gegensätze, sondern sie existieren im Tandem, die eine braucht die andere, genauso wie das Licht ohne die Finsternis nicht existieren kann.[1]) Im gewöhnlichen Denken herrscht die Seite der Differenzierung vor. Wir teilen, trennen, analysieren, begutachten, nehmen die Dinge auseinander, brechen sie in immer kleinere Fragmente herunter, rationalisieren. Was wir nach dieser Art kennen, sind Abstraktionen, nicht die Fülle der Wirklichkeit. Diese Denkart verliert den Blick für das Ganze und macht die Begriffswelt kalt und bar einer gesunden Gefühlskomponente. Zugleich tendiert aber das so genannte ganzheitliche Denken, welches entstand, um die Schäden auszugleichen, die über Jahrhunderte hin durch den analytischen Modus verursacht wurden, zur zu starken Verallgemeinerung, zur Undeutlichkeit, zur Verschwommenheit, zur Sentimentalität, zu einem Mangel an Konkretheit hin. Keine dieser beiden Denkarten gilt als bildhafte Erkenntnis. Was die zwei Polaritäten auseinanderzerrt, das ist die verdeckte Gegenwart der Angst im Zentrum des gewöhnlichen Bewusstseins. Die Angst, welche die erkennende Tätigkeit einerseits und die Phantasie anderseits zum gegenseitigen Misstrauen anstiftet.
Überwiegt im Denken die Seite des Differenzierens, so wird unser kognitives Leben mit Abstraktionen verflacht. Die Verflachung bewirkt, dass wir die Dinge in einer einzigen Dimension sehen und dieses Einzige zum Ganzen werden lassen. Die Angst packt diese Darbietung der Realität und verwendet sie dazu, unser Denken zu einer Diskussion zu machen. Wir verteidigen unseren einseitigen Standpunkt und sind dabei außerstande, die vielen Seiten der Angelegenheit aufzunehmen. Wir kommen zur Auffassung, dass der ganze Sinn und Zweck des Denkens der ist, zu einer Schlussfolgerung zu kommen. Das beeinträchtigt die Möglichkeit einer Bilderkenntnis noch weiter. Sind wir einmal in dieser Vorstellung eingebettet, denken wir nicht mehr im eigentlich Sinne, sondern wir reihen bloß Gedanken aneinander, um zu einem Schluss zu kommen. Ein solches Denken tut nichts, um Schöpferisches in die Welt zu bringen. Unser Verstand greift lediglich nach schon fertigen Gedanken, die so in der Welt herumzirkulieren wie alte, verschlissene Münzen.
Das Zusammenweben der Polaritäten Differenzierung und Ganzheit erzeugt eine Art Denken, die Wärme und Nuanciertheit besitzt, und die in ihrem Wesen eine künstlerische Tätigkeit ist. Ein Künstler, zum Beispiel, verbildlicht das ganze Gemälde, an dem er arbeitet, und zu gleicher Zeit sieht er jeden einzelnen Teil des Gemäldes im Verhältnis zu den anderen. Zwar versucht er nicht, sich das fertige Gemälde vorzustellen schon bevor er mit dem Malen begonnen hat, denn das wäre so, wie wenn er eine Abstraktion auf die Leinwand übertragen wollte. Aber der wahre Künstler hat gleich zu Beginn eine ziemlich klare Konzeption des Ganzen sowie auch davon, wie die Besonderheiten des Gemäldes dieses Ganze ans Licht fördern werden. Das Ganze ist vollkommen reell, wenngleich unsichtbar; reell wird es erst durch die Teile, durch die es zusammengesetzt wird, und das ist eine Eigenschaft auch der bildhaften Erkenntnis. So wie ein Musiker nicht bloß einzelne Töne aneinanderreiht, sondern in jedem einzelnen Abschnitt das ganze Stück anwesend sein lässt, in der gleichen Weise ist die bildhafte Erkenntnis eine Art Orchestrierung. Wir können es fertigbringen, unser alltägliches Leben zu einem Vorgang der künstlerischen Erkenntnis zu machen. Wir müssen nur darauf achten, wie alles, was wir tun, in einem Gesamtzusammenhang steht, der aus unseren Verbindungen mit anderen, mit der Welt und mit den geistigen und seelischen Reichen gewebten.
Das Denken im Modus der Differenzierung und Analyse eignet sich besser für die materiellen Aspekte der Wirklichkeit, während das Denken im Modus der Ganzheitlichkeit besser zu den spirituellen Aspekten der Wirklichkeit passt. Leider tendieren diese beiden Sphären in eine je eigene Richtung, und genau das ist es, was die Angst will. Das wissenschaftliche Denken zum Beispiel hat den Modus der Differentiation auf die höchste Stufe seiner Entwicklung gebracht, während das religiöse Denken und das spirituelle Denken die Ganzheitlichkeit ausgebildet haben. Sowohl das wissenschaftliche als auch das religiöse Denken regen zwar zu Phantasien der Hoffnung an, aber keines der beiden richtet viel aus, um die Hoffnung zu einem tatsächlichen Erlebnis werden zu lassen. Eine Vereinigung dieser zwei zu einer neuen Form des Bild-Denkens könnte zur Verminderung der Angst in der Welt eine Menge ausrichten. Denn dadurch würde die Hoffnung als Erkenntnismodus wieder hergestellt.
[1] Dennis Klocek, Seeking Spirit Vision (Fair Oaks, CA: Rudolf Steiner College Press, 1998), S. 11-21.