ODER:
Ein Bild des Aussehens und der Wirkungsweise der Furcht
Aus: Beitrag 15 von "The Soul of America: New Beginnings" Robert Sardello | Nov 30, 2017
Eines der passendsten Bilder für die Wirkungsweise nicht der Furcht vor diesem oder jenem draußen in der Welt, sondern für die Furcht an und für sich als Furcht, haben wir in der Lebensweise derjenigen Ärzte, die zur Zeit des Nationalsozialismus an Menschen experimentierten. Dieses Phänomen dokumentiert Robert J. Lifton, Psychiater an der Yale-Universität, in seinem Buch Ärzte im Dritten Reich (Stuttgart: Klett-Cotta, 1988), aus einer entscheidenden Perspektive. Die Ärzte in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus funktionierten über Jahre hinweg unter einem Zustand der ständigen Furcht. Zu gleicher Zeit wurde ihnen andauernd gesagt, dass sie zu einer Forschungsarbeit auserwählt worden seien, die ohne Zweifel die Menschheit retten werde. Ihre Existenz führten sie tagein, tagaus unter diesem Widerspruch. Es ging mit ihnen so weit, dass sie ab einem bestimmten Punkt nichts Schlimmes mehr an den Gräueltaten zu sehen vermochten, die sie jeden Tag verübten. Es ist aber nicht so, als wären diese Ärzte zu grausamen Ungeheuern gemacht worden, geschweige denn, dass sie das geleugnet hätten, was sie taten. Ein solches Wirken- und Leben-Müssen unter ständiger Furcht vor den Konsequenzen eines Nichtausführens der ihnen genaustens erteilten Befehle, zusammen mit der ihnen eingeflößten Auffassung, dass sie Helden der Menschheit seien – die Wirkung davon war, dass sich in diesen Menschen zwei verschiedene Ichs ausbildeten. Diese zwei Ichs bestanden und funktionierten nebeneinander her ohne jede Empfindung eines Widerspruchs. Einerseits bestand der Selbstsinn dieser Ärzte darin, dass sie sich für humane Mediziner hielten, die zum Wohle des Vaterlandes und der Menschheit arbeiteten. Auch hielten sie sich durchaus für gute Ehemänner und Väter, waren hochkultiviert in Kunst und Musik und führten sonst ein vorbildliches Leben. Neben dieser Empfindung ihres Selbst aber gab es auch den Arzt, der täglich an Menschen Schreckenstaten vollführte. Folter, Zwangs-Operationen, Menschen mit grässlichen Krankheiten zu infizieren war an der Tagesordnung, während abends diniert, getanzt und die Oper besucht wurde. Und zwar ohne jeden Sinn eines Konflikts bzw. eines Missverhältnisses. Lifton nennt den Vorgang, durch den sich die zwei Ichs nebeneinander her entwickeln, den Prozess der Verdoppelung.
Zur Beachtung: Gegenwärtig haben wir einen Präsidenten, der vollkommen verdoppelt ist – und der zunehmend unerfindlich wird, indem er das Eine sagt, es sodann wieder durch Behaupten des Gegenteils aufhebt; er erzeugt Furcht, radiert sie dann wieder aus, aber ohne dass in Wirklichkeit irgendetwas stattgefunden wäre. Hier eine Auswahl aus den Nachrichtenmeldungen zu seinem Verhalten:
Was wir zu hören bekommen: Funktionäre berichten, dass Trump immer impulsiver zum Streit aufgelegt ist, dass er noch selbstsicherer und immer geneigter ist, mit vollem Selbstbewusstsein wilde Verschwörungstheorien und Fantasien zu unterhalten, als er es während des „wilden Westens“ seiner ersten 100 Amtstage je war.
Stelle dir Trump vor beim Unterzeichnen des Gesetzes zur Steuerkürzung in mitten hochfliegender Aktienkurse und steigener Wirtschaftskonjunktur.
Stelle dir vor, dass Roy Moore im Bundesstaat Alabama die Wahlkampf gewinnt, was wahrscheinlich erscheint. Das wird ganz bestimmt den Trump nicht demütigen – geschweige denn ihn einengen.
Er wurde wie der unglaubliche Hulk, nachdem die Medien und Mueller ihn in Rage gebracht hatten.
Soeben wurden wir Zeugen der unvorstellbarsten 96 Stunden der Herrschaft Trumps.
Aufgerufen hat er zu einer Untersuchung des Vorsitzenden des Nachrichtendienstes NBC, zu einem Boykott des Fernsehsenders CNN, zu globaler Skepsis gegenüber CNN International und zu einem öffentlichen Wettbewerb um den Preis "König des Fake-News."
Erzählt hat er seinen Freunden, dass das „Access Hollywood”-Tonband manipuliert sein könnte und dass ehemaliger Präsident Obama womöglich im Ausland geboren wurde.
Er hat Aussagen von Verschwörungstheoretikern nachgetwittert.
Ohne jede Reue hat er Videos in Umlauf gebracht mit dem Ziel, eine ganze Religion zu erniedrigen, den Islam. Er hat seine Pressesekretärin vorgeschickt, um zu argumentieren, dass es egal sei, ob die Videos gefälscht sind, da die Bedrohung reell sei.
Sei wachsam: Gekorene Republikaner scheinen, wenigstens in der Öffentlichkeit, kein Problem damit zu haben. Sie lachen in sich hinein und sagen, es sei lediglich Trump, der sich selbst die Treue halte. John Kelly, dem Stabschef des Weißen Hauses, ist diese Realität nur recht (beziehungsweise er und sein Mitarbeiterstab haben sich damit eben abgefunden). Niemand, der irgendwie zählt, tut irgendetwas außer den Präsidenten anzustacheln.
Paradebeispiel: Inmitten all dieser Geschehnisse nennt Senator Orrin Hatch (Republikaner aus dem Bundesstaat Utah) Trump „einen der besten Präsidenten, dem ich je unterstellt war.”
Senator Lindsey Graham (Republikaner, Bundesstaat South Carolina) schwärmte, dass er Trump nie in so guter Form gesehen habe, als indem er sich vergangene Woche auf den Gesetzesentwurf zur Steuersenkung gestürzt habe.
Anmerkung: Bitte nimm zur Kenntnis, dass diejenigen, die sich dem Präsident früher widersetzt haben, ihn jetzt billigen. Das deutet darauf hin, dass sich zur Zeit das ganze US-Abgeordnetenhaus in einem Verdoppelungsprozess begriffen ist – um des politischen Überlebens sowie auch um der Macht willen.
So geschieht also dann eine Verdoppelung, wenn Furcht zwar ständig präsent ist, aber zugleich auch Umstände herrschen, die nicht nur leugnen, dass die Furcht existiert, sondern die auch einen Selbstsinn aufbauen, der von dem Selbstsinn vollkommen abweicht, welcher sich ganz ohne die Gegenwart von Furcht entwickelt. Die Verdoppelung besteht im Ausbilden eines falschen Selbst neben dem individuellen Selbst. Dieser „Falschselbst“ befolgt rein externe Anweisungen, ohne allerdings zu wissen, dass es dies tut. Je mehr sich die Furcht in der Welt steigert, umso größer wird die Möglichkeit, dass eine Generalverdopplung stattfindet, ohne dass wir es merken. Wir erkennen die Verdoppelung zum einen deshalb nicht, weil die Verdoppelung keine psychologische, sondern eine geistige Pathologie ist, in der der individuelle Geist usurpiert wird. Wir erkennen dieses Syndrom zum anderen deshalb nicht, weil sie von einer Zunahme an Schlauheit und an einem erhöhten Können im Lügen gekennzeichnet ist. Die Verdoppelung bewirkt eine größere Effektivität des mit dem Überlebensinstinkt verknüpften funktionalen Verhaltens, und legt die Instanz des Gewissens vollständig lahm. Nicht diejenigen, an denen die Verdoppelung vollzogen wird leiden, wohl aber bringt sie schreckliches Leid auf andere Individuen und Institutionen sowie auf die Kultur schlechthin.
So ist die Verdoppelung in der Tat die Verkörperung der Furcht selbst. Das heißt: Wenn einerseits die Menschen unter einem beständig fortgesetzten Zustand aller Arten der Furcht leben, in welchem aber die konstante Gegenwart der Furcht durch die Betonung allerlei Sorten des Materialismus verleugnet und überdeckt wird (zumal als als Weg zum Maskieren der Furcht), und wenn andererseits die Furcht zwar nur hin und wieder erscheint, aber jedes Mal zunehmend so spürbar wird, dass sie ein Zusammenzucken der Seele und des Leibes herbeiführt – wenn also die Menschen unter diesen Umständen leben, kommt ihnen der Sinn für ihr individuelles Geist-Sein allmählich abhanden. Es ist ja allgemein bekannt, dass wenn Menschen unter beständiger Furcht leben, sie nach und nach vollkommen gefügig werden. Menschen zum Beispiel, die für einen Hungerlohn in Ausbeuter-Betrieben arbeiten und jede Sekunde um ihre Stelle bangen und in ständiger Furcht davor leben müssen, dass sie nichts zu Essen, keine Bekleidung, kein Dach über dem Kopf haben – Solche Menschen werden gefügig und verlieren ihre Individualität. Aber die Art der Furcht, von der jetzt die Rede ist, geht noch einen Schritt darüber hinaus, denn die Verdoppelung erzeugt einen falschen Sinn davon, dass man völlig in Ordnung sei. Ja die Verdoppelung bewirkt eine Empfindung, als wäre man ein gar mächtiger Mensch. Ferner führt die Verdoppelung die Möglichkeit mit sich, über anderen Menschen Gewalt zu haben.
Alle haben wir die Empfindung, zwei Ichs zu besitzen. Typisch für spirituelle Kreise heutzutage ist, dass bei dieser Empfindung zweier Ichs von einem niedrigeren und einem höheren Ich gesprochen wird, und dass es unser spirituelles Ideal sein sollte, uns vom niedrigeren zum höheren Ich zu entwickeln. Beide Ichs sind allerdings immer da. Unser landläufiges Ich-Empfinden ist unsere Selbstidentität als der- oder diejenige, der/die zu sein wir uns vorstellen und die mehr oder minder eine Akkumulation unserer Geschichte, unserer Erinnerung ist. Sodass also wenn jemand dich darum bittet, dich zu beschreiben, du in der Regel etwas aus deinem Lebenslauf – deine persönliche Geschichte – erzählen wirst: also wann und wo du geboren wurdest, wo du aufgewachsen, zur Schule gegangen bist, wo du studiert hast, welche Dinge du magst usw. Der Sinn für das höhere Ich hat mit unserem geistigen Sein sowie mit unseren Bestrebungen und unserer Offenheit gegenüber geistigen Wesen und den geistigen Welten zu tun. Nur selten kommt es vor, dass jemand das niedrigere Ich „verlässt“ und ausschließlich in der höheren Empfindung des Ich lebt. Wir empfinden beide. Aber wir wissen auch den Unterschied. Wenn die Furcht sich in der oben beschriebenen Weise geltend macht, verschwindet die Möglichkeit, einen höheren Selbstsinn zur Entfaltung zu bringen. Er wird effektiv ersetzt.
Einfach von dem höheren Selbst zu reden, ist viel zu abstrakt. Wir brauchen ein klares Verständnis und vor allem eine klare Beschreibung davon, worin es besteht. Diese Portion unseres Wesens, von dem manche als von dem 'Überbewusstsein' reden, wird uns ohne die innere Anstrengung der Selbstentwicklung nicht bewusst. Wir sind uns unserer spirituellen Individualität nicht bewusst. So sind wir der allmählichen Erosion dieses zentralen Aspektes unseres Seins ausgesetzt und haben dabei eine höchstens vage Ahnung davon, dass etwas nicht stimmt. Wir haben nur die Empfindung, dass wir unser Schicksal nicht gefunden haben; wir wissen aber weder was das überhaupt ist, noch wie wir es suchen sollen. Wir haben ein deutliches, manchmal sogar scharfes Gefühl des Sehnens nach etwas mehr im Leben. Und wir haben das Gefühl, spirituellen Wirklichkeiten – der spirituellen Realität unseres eigenen Wesens mit einbegriffen – nahe sein zu wollen. Uns ist vielleicht durch die Einsicht geholfen, dass die Religion der Quell allen inneren Erkennens und Fühlens ist; aber völlig zufriedengestellt fühlen wir uns dadurch nicht. Und im Zustand einer beständigen Furcht ist es so, dass wir zu Beginn zwar nach Hilfestellungen einer spirituellen Art suchen, dass wir aber, wenn sich die Situation nicht zum Besseren wendet, nach und nach die Empfindung dafür verlieren, dass es in uns darinnen einen geistigen Wesensmittelpunkt gibt, den gar keine Bedrohung erreichen kann, egal wie heftig und egal welchen Ursprungs sie sein mag. Die Furcht hat in solchem Zustand mit unserer Vereinnahmung begonnen.
Wenn du schon einmal Augenblicke hattest, in denen du dein höheres Selbst, deine wahre Geist-Individualität erlebtest, so weißt du, dass dies etwas Erstaunliches ist. Es ist, wie wenn man in eine ungeheure, liebende Ressource eintreten würde, die sich dir durch die Unmittelbarkeit und Innigkeit einer quasi-körperlichen Berührung zu Erkennen gibt. Es ist nichts über das du etwas weißt, denn dein Geist-Wesen ist dein inneres Sanktum, dein Allerheiligstes. Manchmal kann die Kirche uns dabei behilflich sein, indem sie uns zu solchen Augenblicken hinführt. Aber ohne die Anstrengung der inneren Selbstentwicklung wird es uns nicht gelingen, zu dieser Dimension unseres Wesens den Kontakt aufrechtzuerhalten.
Es ist dringend notwendig, dass wir verstehen, was für Folgen es hätte, sollten wir es nicht lernen, unseren Wesenskern – die Individualität, die wir in Wahrheit sind – zu erfahren. Und erst richtig dringend ist es, das wir verstehen, wie schlimm die Konsequenzen auch davon wären, sollte uns dieser Wesenskern abgetragen werden, ohne dass wir davon ein deutliches Bewusstsein haben. Die Verdoppelung ist inzwischen eine grassierende spirituelle Pathologie in unserer Kultur geworden. Sie besteht darin, dass Schlauheit das Schöpferische im Menschen ersetzt; dass unglaubliche Grausamkeit die Selbstlosigkeit ersetzt; dass völlige Selbstbezogenheit die Gemeinschaft ersetzt, und dass Gewalt an die Stelle wahrer innerer Macht und Autorität tritt.
Wir sehen gegenwärtig, wie an vielen Unternehmensleitern, Politikern, Staatsoberhäuptern eine so geartete Geist-Pathologie sich auslebt. Man braucht diese Menschen nur anzusehen, um zu durchschauen, dass der eigentliche Mensch 'nicht da' ist, dass sich etwas des tiefsten Kerns ihres Wesens bemächtigt hat. Diese Pathologie ist durch keine gegenwärtige Psychologie einzuordnen bzw. zu verstehen, denn es ist gar keine Sache der Psychologie; es ist vielmehr eine Sache des Geistes. Es geht um einen Geist, der sich nicht mit der Erde verstrickt.